Theater: Im Haus der gepflegten Verzweiflung

Das Performance-Kollektiv She She Pop dekliniert mit „7 Schwestern“ sehr frei nach Tschechow die Leiden der Frauen um die 40.

Düsseldorf. Vom Original bleiben nur ein paar Sätze. Und eine kurze Zusammenfassung: „Es geht um die Angst, sein Leben zu vergeuden“, erklärt Ilia Papatheodorou. Aus den „Drei Schwestern“, die Anton Tschechow zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der russischen Provinz ihren Träumen nachsinnen lässt, macht das Performance-Kollektiv She She Pop in den FFT Kammerspielen eine Nabelschau dreier Frauen um die 40 und ihres schwulen Freundes. Mit Tschechows Irina, Mascha und Olga sind Lisa, Johanna, Ilia und Sebastian die „7 Schwestern“.

Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit — für diese Ziele sollten sie leben, findet Lisa. Sie nennt es ihre Utopie, aus der sie nicht raus möchte. Raus möchte hingegen Johanna, und zwar aus der Rolle der leidenden Frau. Ilia will ihr helfen und rät: „Setz doch mal die lustige Brille auf.“

Die Darsteller verkörpern keine Figuren, sie nennen sich bei ihren richtigen Namen, zeigen persönliche Seiten. Eine hat Kinder, eine andere Katzen. Eine schläft jeden Abend vor dem Fernseher ein, eine nennt es Glück, wenn sie nach einer durchzechten Nacht ihre Adresse fehlerfrei dem Taxi-Fahrer nennen kann. Stereotypen, die sie miteinander und aneinander vorbei redend verhandeln. Als Stichwortgeber dient Tschechow. Immer wieder zitiert jemand aus dem gelben Heftchen, auf dem „Original“ steht.

Damit es nicht beim kopflastigen Austausch von Klischees, Rollenbildern und Erwartungen bleibt, zeigen sich die Performer in ständiger Bewegung. Die meiste Zeit verbringen sie in Räumen außerhalb der Bühne und sprechen in Kameras. Die mediale Vermittlung der Bilder auf die Bühne bricht den direkten Kontakt.

Sowohl untereinander als auch mit dem Publikum. Ein wirkliches Verstehen ist nicht möglich, wenn sie auf der Leinwand aus verschiedenen Lebensräumen heraus miteinander kommunizieren. Auf dem Weg von einem Standpunkt zum anderen laufen sie an den Zuschauern vorbei. Bei Tschechow heißt das: „Als ob 100 Augen ihr dabei folgen.“

Auch das Private ist öffentlich. Ein gelungener Effekt ist die Zurschaustellung des Privatesten: Scheinbar live zugeschaltet werden die Kleinkinder der Frauen. Sie spielen selbstversunken in einem schmuddeligen Zimmer. Und doch bannen sie die Aufmerksamkeit der Zuschauer so, dass man sich wie ertappt fühlt, wenn Sebastian vorne an der Rampe unbemerkt schon eine ganze Weile vor sich hin redet. Bis er genau das sagt. In solchen Momenten funktioniert die Performance des vor allem für „Das Testament“ im vergangenen Jahr bundesweit gefeierten Kollektivs.

Mit einer guten Portion Selbstironie spitzen die Protagonisten ihre Standpunkte zu, was gut unterhält. Lisa etwa will die Ikone der sorgenden Mutter zerstören, Sebastian geht es um die Barbarei heterosexueller Kinderzeugung. Über knapp zwei Stunden trägt das allerdings nicht.