"Tschick"-Premiere: Der beste Sommer von allen
Im Jungen Schauspielhaus kommt „Tschick“ zwar nicht an den Roman heran, fängt aber wunderbar das Lebensgefühl ein.
Düsseldorf. Am Anfang, da steht die Schuld: „Er begreift es nicht. Er ist zu dumm.“ Der 14-jährige Maik Klingenberg begreift tatsächlich nicht, warum sein Vater ihn so schilt. Der Vater, der ihn vorher mit dem Arsch nicht angesehen hat. Warum die Aufregung? Das, was hinter ihm liegt, war für Maik doch „ein toller Sommer“. „Der beste Sommer von allen“ sogar. Für das Publikum war die Premiere der Bühnenfassung von Wolfgang Herrndorfs Jugendroman „Tschick“ (2010) — wenn nicht die beste — zumindest eine spannende Zeit.
Es ist, mit Abstrichen, auch eine „tolle“ Premiere, bei der am Samstagabend etwa zwei Drittel der Zuschauer unter 20 sind. An die Klasse der Romanvorlage kommt sie indes nicht heran. Dabei hangelt die Bühnenfassung von Robert Koall sich — mit einigen Ausnahmen— ziemlich detailgetreu daran entlang.
Ein Problem liegt in der Figurenzeichnung. Philip Schlomm bringt den Spagat zwischen lässigem Proletentum und Selbstzweifeln in seiner Darstellung Tschicks gefühlvoll auf die Bühne. Er spielt den Spätaussiedler-Sohn großartig, entwickelt ihn vom unnahbaren Angeber zum sensiblen Freund, der für den anderen einsteht. Die Inszenierung Jörg Schwahlens krankt an den anderen Figuren. Dominik Paul Weber stellt den 14-jährigen Maik Klingenberg zum Teil tatsächlich so dar, wie sein Vater ihn nennt: dumm. Er gluckst und kichert und grinst. Weber spielt Maik, wie die Außenwelt ihn sieht und verliert dabei das lakonische Moment, von dem die Figur im Roman lebt. Glücklicherweise legt sich das im Laufe des Stücks ein wenig.
Jasmina Musi´c indes interpretiert jede ihrer zahlreichen Rollen — von der Lehrerin über die Sprachtherapeutin bis zur alkoholkranken Mutter Maiks — ähnlich überzeichnet und hysterisch. Das nervt und man fühlt sich mitunter eher in die grelle Welt eines Teeniefilms als auf die Rückbank des schrottreifen Ladas versetzt, mit dem Maik und Tschick in Richtung Walachei unterwegs sind. Diese Mängel liegen allerdings nicht nur in der Darstellung begründet, sondern in der Inszenierung selbst.
Die kann auch die Authentizität Herrndorfs Roman, der schon jetzt auf dem Schulplan der achten und neunten Klasse steht, nicht abbilden. Denn so ganz verzichtet sie nicht darauf, sich mit kalkulierten Lachern bei der Zielgruppe anzubiedern — warum sonst die überflüssige Sex-Szene aus dem Off, bei der man es stöhnen und röhren, poltern und hämmern hört, die in der Vorlage aber nicht steht? Pennälerhumor, der natürlich aufgeregtes Getuschel in den Zuschauerreihen zur Folge hat. Dort sitzen sie schließlich die Schüler, deren Lebenswirklichkeit Herrndorf so brillant beschreibt.
Berührend sind jene Momente, die das Lebensgefühl der beiden 14-Jährigen einfangen: Die Euphorie, die ein glasklarer Badesee auslösen kann während Arcade Fires betörendes „Neigbourhood #1“ ertönt. Die Fahrt auf der Autobahn, die die Freiheit, die man mit Erhalt des Führerscheins erlangt, noch potenziert. Die sternenklare Nacht, in der Maik und Tschick, rücklings im Gras liegend, über Sinn und Unsinn des Lebens sinnieren — wer hat als Jugendlicher nicht so in den Himmel geschaut. Und erinnert sich gerne daran.
Das Bühnenbild von Nadia Schrader ist zwar schlicht, aber raffiniert. Eine Vielzahl verschieden großer Holzquader, die sich nach hinten hin auftürmen, bildet mal Schrottplatz, mal Gebirgskette. Einzeln ist einer von ihnen der himmelblaue Lada, zusammengeschoben bilden sie einen langen Esstisch. Zum Szenenwechsel braucht es nicht viel: nur vier Luftballons oder zwei Limonaden. Genauso wenig braucht es zum Glücklichsein. Das zeigt die Geschichte um Maik und Tschick, Isa und Tatjana. Eigentlich braucht es kaum mehr als einen guten Freund, einer Idee und etwas Mut. Nein, eigentlich braucht es nur einen Freund — alles andere kommt von selbst. Und etwas Dummheit kann vermutlich auch nicht schaden, da hat Maiks Vater schon Recht.