Konzert Udo Lindenberg in Düsseldorf - Utopia, noch „30 Jahre lang“
140 Minuten lang feiert Lindenberg eine Party mit seinen Fans in Düsseldorf. Bis er schließlich als Astronaut in andere Sphären entschwebt.
Düsseldorf. „Ich spüre die Thermik, die von Euch kommt. Ich breite meine Nachtigallflügel aus und ihr tragt mich nach oben.“ Sagt Udo Lindenberg. Ziemlich am Ende der Show, als er etwa 140 Minuten gespielt hat in diesem gefüllten ISS Dome in Düsseldorf-Rath, kommen die Pagen aus dem Breidenbacher Hof zu den Liedzeilen von „Ich schwöre“ und geleiten den Meister von der Bühne. Lindenberg aus „Gronau an der Donau“, was in dieser Konstellation zwar nicht stimmt, aber so schön klingt, dass es Aufnahme in diesen außergewöhnlichen verbalen Udo-Kosmos gefunden hat, tänzelt im Udo-Stil über den in die Zuschauer ragenden Steg hinter ihnen her zur Bühnenmitte. Dann wird dem 71-Jährigen die Ausrüstung eines Astronauten angelegt. Und zu den Instrumentalklängen von Woody Woody Wodka entschwebt Lindenberg diesem Abend in Düsseldorf: „Unsere Füße müssen weiter, unsere Herzen bleiben hier.“
Aus, vorbei, Licht an, willkommen zurück in der Realität. Die Lindenberg-Fans — und das sind sie hier alle, bisweilen sind sie gar Kopien mit längerem Hinterhaar, Hut und Sonnenbrille — bleiben zurück. Jetzt, da ihr Held sie gerade so spektakulär verlassen hat. Für sie, die Fans, bleibt es ein kleiner Ausflug in eine bunte Welt, nach Utopia, in die „bunte Republik Deutschland“. Lindenberg selbst aber lebt weiter in dieser gewaltigen Blase mit seiner „immer größer werdenden“ Panik-Familie, einer Suite im Hamburger Hotel Atlantic und jungen, sehenswerten und stimmgewaltigen Sängerinnen, die alle einen Namen haben, aber dann doch eher aus „Marzipanhausen“ oder vom „Jadebusen“ kommen und an Lindenberg nach jedem Song Küsse verteilen. Offensichtlich beseelt davon, Teil dieses wahnsinnigen Ganzen zu sein. Muss man ihn beneiden dafür? Wahrscheinlich schon.
Udo Lindenberg zu seinen Fans
Das Publikum? Lange zurückhaltend, auch schon etwas älter, und nicht mehr geneigt, in einer Form abzugehen, die Konzertkritiker als euphorisch bezeichnen würden. Aber Lindenberg ist eben auch nicht nur Euphorie, die präsente Stimme des 71-Jährigen in der nicht immer glanzvollen, weil zu dröhnenden Hallen-Akustik, trägt ganz viel Melancholie in sich, da hört man aufmerksam zu, von Textzeile zu Textzeile. Mit „Odyssee“, „Einer muss den Job ja machen“, „Ich mach mein Ding“ beginnt er seine „Stärker als die Zeit“-Tourstation, zuerst routiniert, dann immer lustvoller. Und politischer. Die Hymne „Wozu sind Kriege da“ präsentiert der Meister mit einem Düsseldorfer Kinderchor. Er appelliert ans Weltgewissen, verhöhnt die wahnsinnigen Rüstungsausgaben. Seit Jahrzehnten. Auftrag ist Auftrag.
Zum dröhnenden Anti-Nazi-Song „Sie brauchen keinen Führer“ präsentiert er im Hintergrund ein knallbuntes Video mit den Kandidaten: Von Trump bis Putin, von Erdogan bis Le Pen, von Petry und Höcke bis Orban, die gedrehte Eiswaffel auf dem Kopf als Narrenkappe.
Zeitweise sind mehr als 30 Künstler auf der Bühne, jeder hat seine Rolle, es ist eine große Party, die sich irgendwann auch auf das Publikum überträgt, das jetzt mittanzt und mehr als 30 Songs aus dem unendlich weiten Repertoire des Künstlers dargeboten bekommt.
Auch „Hinter dem Horizont“ ist ein Höhepunkt, weil so stimmgewaltig mit seinen drei Grazien inszeniert, dass Gänsehaut aufkommt, darunter Josephine Busch, der Star des Lindenberg-Musicals in Berlin. Mit der „Honky Tonky Show“ wird alles noch bunter, irgendwann schippert ein Schlauchboot durch das Publikum, einer in Badehose und ein Gorilla werfen goldene Schnipsel, der „Sonderzug nach Pankow“ fährt, „Andrea Doria“ und „Johnny Controlletti“ fehlen nicht, alle Grenzen sind aufgehoben. Und Lindenberg feiert diesen Abend, er will nicht aufhören. „Das Ganze geht noch 30 Jahre weiter“, ruft er, „wir gründen den Club der Hundertjährigen. Macht ihr mit?“ Ja, machen sie. Keine Grenzen mehr. Bis das Licht angeht.