Versöhnung mit einem Zauberer

Die Schriftstellerin Gisela von Wysocki wurde mit dem Düsseldorfer Literaturpreis der Stadtsparkasse ausgezeichnet.

Düsseldorf. Gisela von Wysocki ist 15 Jahre alt, als sie die „Philosophie der neuen Musik“ von Theodor W. Adorno liest. Eine kühne Entscheidung, die ihrer Jugend geschuldet ist und sie fürs Leben prägt. Sie, eine nach formalen Maßstäben schlechte Schülerin, beschließt, ihr Abitur nur aus einem Grund zu machen — um bei Adorno in Frankfurt studieren zu können. „Die Entschiedenheit“, sagt sie, „mit der er den Stoff bewegt“ habe sie gepackt. Sie studiert Philosophie bei Adorno, promoviert bei ihm und seinem Schüler Alfred Schmidt. Und vermutlich schaut Adorno, der 1969 starb, ihr bis heute hin und wieder über die Schulter und lehnt sich zufrieden zurück, wenn er ihr schriftstellerisches Tun betrachtet.

Die sprachliche Kraft und erzählerische Dichte im Gesamtwerk der Gisela von Wysocki sind es schließlich auch, welche die fünfköpfige Jury zur Verleihung des Düsseldorfer Literaturpreises zu dem einstimmigen Votum veranlassen, diesmal von Wysocki auszuzeichnen. Die Kunst- und Kulturstiftung der Stadtsparkasse vergibt den mit 15 000 Euro dotierten Preis in diesem Jahr zum zehnten Mal und nimmt das Jubiläum zum Anlass, die Ehrung umzubenennen — von „d.lit. - literaturpreis“ in „Düsseldorfer Literaturpreis“.

Besonders beeindruckt zeigte sich die Jury von dem jüngsten Werk von Wysockis, dem autobiographischen Roman „Wir machen Musik“, der im Oktober 2010 im Suhrkamp Verlag erschienen ist. Die Autorin erzählt darin die Geschichte eines Mädchens, das in den 20er und 30er Jahren die kindliche Aufnahmefähigkeit auf die Spitze treibt und hartnäckig versucht die Welten, in denen es sich bewegt, von denen es hört, zu ergründen: die der Musik, die seiner Familie, Hitler-Deutschland. „Es ist Literatur, wie sie im autobiographischen Genre selten zu finden ist“, urteilt Verena Auffermann, Literaturkritikerin, Laudatorin und Jurymitglied. „Eine absolute Auslese, niedergeschrieben mit präziser Phantasie, mit großem und tropfenweise injiziertem Witz.“

Vier Jahre hat von Wysocki an dem Buch gearbeitet, Jahrzehnte hat sie gebraucht, bis sie sich durchringen konnte, es zu schreiben. Auslöser war ein Vortrag. Von Wysocki sprach vor Psychoanalytikern über die Musik als der einzigen gemeinsamen Sprache zwischen ihr und dem Vater, ein Pianist, der als Produktionsleiter bei Schallplattenfirmen arbeitete und von der Musik, wie sie sagt, „besessen“ war. „Die Zuhörer damals haben gelacht“, erzählt von Wysocki. Sie hätten ertragen, was sie selbst in ihrer Kindheit als „Dunkelzone“ empfand: einen Vater, der sich der Unterhaltungsmusik hingibt, während Krieg und Armut herrschen, der keine Fragen beantwortet, sondern sich lieber Blumen ans Revers zaubert. Irgendwann jedoch versöhnte sie sich mit dem Vater. „Es war der Augenblick, in dem ich begriff: Es ist sein Leben. Das beanspruche ich ja auch für mich.“