Hockeynationalspielerin Elisa Gräve Wenn der Olympia-Traum zu platzen droht
Düsseldorf · Elisa Gräve hat dem Ziel Olympische Spiele alles untergeordnet: Privatleben, Studium, die Klubsaison mit dem Düsseldorfer Hockeyclub. Doch nun könnten die Spiele von Tokio abgesagt werden.
„Ich bin gerade vom Laufen zurückgekommen – das war aber auch ungefähr der einzige Programmpunkt, den ich heute hatte“, sagt Elisa Gräve. Daran, wann sie zuletzt einen solchen „Leerlauf-Tag“ verbracht hat, kann sich die Hockeynationalspielerin kaum erinnern. Aber so ist das in Zeiten der Corona-Krise — da scheint auch das Leben einer Leistungssportlerin auf einmal still zu stehen.
Dabei galt für die Düsseldorferin bisher, alles Erdenkliche in Bewegung zu setzen, um ihr großes Ziel zu realisieren: die Teilnahme an den Olympischen Spielen diesen Sommer in Tokio. Doch mit den weltweiten Entwicklungen scheint nun auch der Fixpunkt, auf den die Sporteliten aus aller Herren Länder hinarbeiten, ins Wanken zu geraten. Zwar will das Internationale Olympische Komitee (IOC) bislang unbeirrt an den Spielen ab Ende Juli festhalten, die Kritik daran wird aber lauter. Immer mehr Organisationen und gar Sportler selbst fordern die Verschiebung. Bis jetzt ist aber nichts geschehen – eine Situation, die für Leistungssportler, die ihr Leben auf dem Reißbrett planen müssen, extreme Herausforderungen birgt.
„Es ist schwierig, den Fokus zu halten. Für mich ist besonders frustrierend, dass ich nach der langen Winterpause, in der wir auf die Hallensaison mit den Klubs verzichtet hatten, endlich wieder am Schläger war, aber das nun schon wieder vorbei ist“, sagt Gräve, die weder mit dem Düsseldorfer HC in die Feld-Bundesliga starten wird noch in der kommenden Zeit Länderspiele bestreiten kann. „Es ist aber einfach so, dass die Gesundheit jetzt vorgeht, dafür muss man Verständnis haben“, weiß die Psychologie-Studentin, die in den letzten Zügen ihres Masterstudiums an der Uni Düsseldorf steckt. Auch das hatte sie dem Ziel Olympia untergeordnet: „Eigentlich hätte ich in diesem Semester meine Masterarbeit geschrieben, die habe ich aber zurückgestellt — jetzt hätte ich ziemlich viel Zeit dafür“, lacht sie.
Individuelles Training zu Hause statt auf dem Feld mit dem Team
Gräve kann die Situation noch mit Humor nehmen, auch wenn ihr mit der möglichen Olympia-Absage ein Horrorszenario bevorsteht, das sich wohl niemand vorstellen kann, der den Verzicht des Leistungssports nicht selbst (er)lebt. Erst recht in einem Sport wie Hockey, der außerhalb von Olympia selten im Fokus steht. Im inneren Zirkel des Nationalteams versucht man dennoch, die Situation positiv anzugehen, die Spielerinnen geben ihr Bestes, um sich weiter optimal auf Tokio vorzubereiten. Doch Gräve gibt zu: „Das Thema ist schon präsent, alle haben eine gewisse Angst. Wir können nur darauf warten, irgendwann vom Verband informiert zu werden.“
Auch Xavier Reckinger sind die Hände gebunden. Der Bundestrainer, der sonst so akribisch den Trainingsbetrieb überprüft und optimiert, muss nun Vieles in die Hände der Einzelnen legen. „Wir wurden dazu aufgefordert, uns so lange es noch möglich ist, ein kleines ,Gym‘ für zu Hause zuzulegen: Langhanteln, Pezzibälle, Medizinbälle und so weiter“, erzählt Gräve und ergänzt: „Ich bin auch schon auf den nächsten Schritt vorbereitet: ein Laufband und ein Fahrrad haben wir zum Glück schon zu Hause.“
Normalerweise absolviert die Nationalspielerin während der Saison vier morgendliche Einheiten, ist dreimal wöchentlich im Mannschaftstraining und einmal im Stützpunkttraining. Hinzu kommen die persönlichen Laufeinheiten sowie Trainings- oder Bundesligaspiele, wenn gerade keine Lehrgänge mit der Nationalmannschaft anstehen. Das alles in Heimarbeit aufzufangen, scheint kaum möglich. „Für mich wird das eine Herausforderung“, gibt die Mittelfeldspielerin zu, „ich muss mir im athletischen Bereich meinen Erfolg hart erarbeiten. Ich habe zwar das Glück, dass ich von Haus aus sehr schnell bin, aber im Ausdauerbereich muss ich viel leisten. Zudem bin ich kein Einzelgängertyp, sondern gerne beim Team. Das alles alleine durchziehen zu müssen, ist schon hart.“
Auf die Hallensaison musste sie verzichten
So ging es der 23-Jährigen bereits in der letzten Zeit, umso mehr hatte sie sich gewünscht, dass diese Phase nun ein Ende hat. Denn die Nationalspielerinnen sollten auf Anweisung des Bundestrainers auf die Hallensaison mit ihren Klubs verzichten. So war Elisa Gräve wie Selin Oruz beim DHC zum Zuschauen verdammt — und das ausgerechnet in einer Saison, in der das Team vom Seestern nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft 2019, zu dem Gräve als beste Spielerin des Turniers maßgeblich beigetragen hatte, auch international beim Europapokal in Den Haag zum Schläger greifen durften.
„Es war schon eine komische Rolle: Ich war irgendwie emotional dabei, vor den Spielen auch oft aufgeregt, aber ich konnte eben nicht eingreifen.“ Was im Finale der Deutschen Meisterschaft wohl hilfreich gewesen wäre, verlor der DHC doch trotz einer 2:0-Führung 3:4 gegen den Club an der Alster. Ob Gräve das nun bald nachholen kann, steht in den Sternen. Die eng getaktete Bundesliga wird — wenn überhaupt — frühestens Ende April starten können, das Final-Four-Turnier im Mai wird definitiv in anderer Form als geplant realisiert werden müssen. Und noch ist der DHC auch gar nicht qualifiziert.
Dass die Düsseldorferinnen, die seit 2015 bei jeder Hallenendrunde und bis auf ein Jahr auch bei allen Feldendrunden unter den letzten Vier standen, den Europapokal auch ohne Nationalspielerinnen gewannen, zeigt, dass sich der DHC zum Topteam entwickelt hat. Was für die Nationalspielerinnen und ihre Olympia-Chancen entscheidend sein kann.
Flexibilität ist die große Stärke der 23-Jährigen vom DHC
Wie die für Elisa Gräve stehen, wagt sie nicht zu prognostizieren: „Das ist jetzt noch schwerer abzuschätzen als vorher. Wir haben in diesem Jahr neben wenigen Spielen bisher nur Arbeitslehrgänge mit vielen Trainingseinheiten absolviert. Die Partien, in denen man sich noch mal richtig zeigen kann, fallen jetzt bis auf Weiteres aus. Zudem rotiert der Bundestrainer extrem viel auf den Positionen, sodass man gar nicht weiß, mit wem man wirklich konkurriert.“ Ein Pluspunkt könnte es sein, dass die gelernte Stürmerin flexibel einsetzbar ist. So kam sie in Klub wie Nationalteam zuletzt auf dem Flügel, im Center und als Angreiferin zum Einsatz. „Ich hoffe, dass das mein Vorteil sein kann und arbeite gezielt an dieser Flexibilität. Ich werde alles versuchen und weiß, dass ich es schaffen kann — eine Prognose wage ich trotzdem nicht.“
Dass das olympische Dabei-Sein in diesem Jahr neben dem persönlichen Aspekt auch noch größeren Unbestimmtheiten unterliegt, versucht Elisa Gräve bis dahin mit einer Weisheit ihres Opas zu bewältigen: „Es klingt vielleicht etwas platt, aber er hat immer gesagt: Wenn du es nicht ändern kannst, brauchst du dich auch nicht aufzuregen. In diesen Tagen denke ich oft an ihn und mache einfach weiter.“