Musiktheater im Labor: Wozzeck trifft auf heutige Lebenswelt

Musiktheater im Labor widmete sich in seiner Performance der Geschichte rund um „Wozzeck“ und feierte im Theatermuseum Premiere.

Foto: Krysztina Winkel

Wie inspirierend es auch sein kann, sich als Zuschauer von einer Operninszenierung mitreißen zu lassen, vom - im Idealfall - Verschmelzen von Musik und Theater, Szene und Geschichte in Welten jenseits des Alltäglichen entrücken zu lassen, so passiv ist doch das Erlebnis. Nicht, dass diese Passivität etwas Schlechtes hätte und wirklich passiv ist ein Opernbesuch auch wiederum nicht. Man gestaltet das, was man sieht und hört durch eigene Erfahrung und Sicht im Inneren mit.

Aber das Projekt Musiktheater im Labor - eine Kooperation der Deutschen Oper am Rhein mit dem Theatermuseum - möchte diese Passivität aufbrechen, möchte jungen Erwachsenen zwischen 16 und 29 Jahren die Möglichkeit geben, mal Musiktheater selbst zu gestalten. Unter dem Motto „Ein guter Mensch tut das nicht!“ widmeten sich die Teilnehmer, angeleitet durch Anja Fürstenberg und Krysztina Winkel von der Jungen Oper am Rhein und Dennis Palmen (Theatermuseum), der zerrissenen Welt Wozzecks. Ein halbes Jahr lang bereitete man sich vor, setzte sich mit Alban Bergs Adaption des Büchners Dramenfragment - das in dieser Spielzeit an der Oper Düsseldorf für Aufsehen sorgte - zugleich aber auch dem Original auseinander, ließ die tragische, psychologisch aufgeladene Geschichte um einen Getriebenen auf die heutige Lebenswelt treffen.

Das Ergebnis dieses Laboratoriums, das sich letztendlich mehr als Theater denn als Musiktheater im eigentlichen Sinne gebärden würde, war nun in einer Performance im Theatermuseum zu erleben. Bei der bestens besuchten Premiere auf der Studiobühne des Museums präsentierten 12 Darstellende und zwei Musiker (Tuba und Querflöte) das in Szene geflossene Substrat ihrer Auseinandersetzung mit dem Werk. Da ist Wozzeck, der in ärmlichen Verhältnissen gefangene Soldat, da ist Marie, seine Freundin, mit der er ein uneheliches Kind hat und da ist der Tambourmajor, mit der Marie Wozzeck betrügt. Schließlich ist da Wozzecks Wahn, auch ausgelöst durch unmenschliche Experimente, ist da seine Eifersucht, ist da ein Mord, den er begehen wird. In unserem Fall ist da aber auch eine an ihrer Beschaffenheit zerbrechende Gesellschaft durchdrungen von Narzissmus.

Dabei durchleuchten die Projektteilnehmer zentrale Szenen der so tiefgehend berührenden und anrührend verstörenden Berg-Oper auf ihren aktuellen Bezug. So geriet das Aufeinandertreffen von Marie und dem Tambourmajor zu einem Spiegel der MeToo-Debatte, Doppelmoral und Oberflächlichkeit der Gesellschaft zum Auslöser von packenden Szenen, die einem Gericht entlehnt scheinen. Bergs Musik spielt dabei nur eine Nebenrolle, oder wurde in einer wahnhaften Gruppen-Szene zu zerrissenen Fragmenten. Hin und wieder leuchten Themen aus seiner Musik im Spiel der beiden Musiker auf. So das schauerliche Wiegenlied etwa.

Das Programmheft, das einer Polizeiakte nachempfunden ist, gibt Hinweise, öffnet den Blick für die Schuldfrage, die sich durch die gesamte Performance zog. Mit stilistisch treffsicheren und wohl dosierten Mitteln (so die Kostüme etwa von Jane Spörckmann) konzentrierte man sich auf das nach außen gespiegelte Innenleben der Figuren. Spiegelte sogar Marie wortwörtlich als eine Gefangene in zwei Welten zwischen Wozzeck und dem Tambourmajor.

In dem Bruch zwischen Ego und Gesellschaft, zwischen Zwängen und ihren Folgen für die Protagonisten manifestiert sich ein Gedanke: Die Geschichte ist erschreckend aktuell. Ein Bravo für alle Beteiligten, wenngleich etwas mehr Musik aus Bergs Meisterwerk nicht geschadet hätte.