Düsseldorfer Kultur "Wozzek" an der Deutschen Oper: Ein Werk wie eine Hinrichtung

Stefan Herheim inszeniert Alban Bergs „Wozzeck“ an der Deutschen Oper am Rhein.

Foto: Karl Forster

Düsseldorf. Als Christoph Meyer Generalintendant der Deutschen Oper am Rhein wurde, griff er schnell zum Telefonhörer. Er rief den berühmten norwegischen Musiker und Opernregisseur Stefan Herheim an, um ihn für eine Inszenierung unter Vertrag zu nehmen. Der weltweit gefragte Regisseur, der unter anderem in Berlin, Wien, Salzburg und Bayreuth inszeniert, schaute in seinen Kalender. Im Jahr 2009 fand das Gespräch statt, erst 2017 war damals noch was weiß im dicken Terminbuch. Jetzt weilt Herheim in Düsseldorf und inszeniert zum ersten Mal Alban Bergs „Wozzeck“.

Der „Wozzeck“ ist nicht irgendeine Oper. Das harmonisch kühne Musikdrama nach Georg Büchners Schauspielfragment „Woyzeck“ verlangt viel von allen Beteiligten bis hin zum Opernbesucher, der sich 90 Minuten lang dem Deprimierenden aussetzt. „Ich hatte immer großen Respekt vor dem Werk“, sagt Stefan Herheim im Gespräch mit unserer Zeitung.

„Hier muss man alle Register ziehen.“ Und man müsse sich die Frage stellen, was einem die eigene Freiheit wert sei. „Ich kann an keinem Gefängnis vorbei gehen, ohne zu verzweifeln“, sagt der Regisseur. Auch das Phänomen Todesstrafe beschäftige ihn ethisch sehr.

Nun ist ja der Wozzeck ein zum Tode Verurteilter. Und das Ungeheuerliche der Sache mache Alban Berg mit seiner Musik erfahrbar. Und aus ihr heraus wolle er es dem Publikum vor Augen führen. „Das Publikum soll mit den Augen hören und mit den Ohren sehen“, bringt es Herheim auf eine ästhetische Formel.

Das Werk sei nichts anderes als eine Hinrichtung. „Wir gehen sehr realistisch an das Stück heran.“ Es beginne mit einem großen Glasfenster, hinter dem Zeugen einer Hinrichtung die entsprechenden Vorgänge beobachten. Fünf Todesspritzen werden verabreicht - so wie heute in den USA bei Hinrichtungen üblich. Es beginne mit der Anästhesie bis hin zu den tödlichen Nervengiften.

„Symptomatisch gibt es nichts Aktuelleres, (Un-)Menschlicheres und Problematischeres als dieses Thema“, betont Herheim. Dort werde die Auflösung herkömmlicher ethischer Kategorien vergegenwärtigt. Dazu passe bei Alban Berg auf der musikalischen Seite die Emanzipation von den Tonarten und die Gleichberechtigung der Töne. „Sie bleibt für uns immer neu und aufreibend.“ Sie sei mit dem Stück auf ethisch-ästhetische Art und Weise verknüpft. „Das war ein Befreiungsschlag für die abendländische Kunst.“

Hintergrund der Oper „Wozzeck“ und dem zugrundeliegenden Büchner-Fragment ist ein authentischer Fall aus dem Jahr 1821. In Leipzig ersticht ein 41-jähriger Mann Namens Johann Christian Woyzeck seine fünf Jahre ältere Geliebte. Die sich Jahre hinziehende gerichtsärztliche Untersuchung des geistig verwirrt erscheinenden Angeklagten führt schließlich zur Feststellung der Zurechnungsfähigkeit und zum Todesurteil. Erst 1913 wurde Büchners Fragment uraufgeführt.

Berg schuf wenige Jahre später seine Oper unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs. Stefan Herheim inszeniert den „Wozzeck“ zum ersten Mal, weswegen die Opernwelt in diesem Herbst nach Düsseldorf blicken wird.