Opernkritik Wagners "Rheingold" in Düsseldorf: Zwischen Feinschliff und Budenzauber

Düsseldorf. Götter, Zwerge, Riesen und Naturwesen bilden die Figuren-Konstellation in Richard Wagners „Rheingold“, dem Vorabend innerhalb der Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“.

Die Rheintöchter Wellgunde (Maria Kataeva) und Anke Krabbe (Woglinde) necken den Alberich (Michael Kraus).

Foto: Hans Jörg Michel

In diesem Eröffnungsstück entstehen die Fronten, an denen in allen vier Teilen bis zum bitteren Ende gekämpft wird. Der „Ring“ rundet sich zum Gleichnis für die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts samt beginnender Industrialisierung und Siegeszug des Mammons. Dabei stellt Wagner eine düstere Prognose, deren Feuerzeichen schon im „Rheingold“ auflodern.

Der romantische Komponist und Versdramatiker fand in mittelalterlicher und antiker Literatur geeignete Archetypen für seine Bildsprache, die sich zusammen mit Musik zum Gesamtkunstwerk vereint. Dass all das an Wagners persönlichen Wahrnehmungs-Horizont geknüpft und ein Reflex auf Zeitgenössisches ist, steht außer Frage. Darum versetzen Regisseure die Handlung mit Vorliebe in die Wagner-Zeit. Auch Dietrich Hilsdorf, den die Deutsche Oper am Rhein beauftragte, den kompletten „Ring“ zu inszenieren, lässt das „Rheingold“ im Ambiente des späten 19. Jahrhunderts spielen, umrahmt von vielfarbigen Leuchtleisten, einer bunten Umrandung, die an eine Varietébühne des frühen 20. Jahrhunderts erinnert. Am Schluss leuchten alle Glühbirnen intensiv auf — Symbol für die Regenbogen-Brücke zur Burg Walhall, die selbst aber nie zu sehen ist.

Hilsdorf, der vorgibt, Wagner nicht besonders zu mögen, schafft damit sogleich eine ironische Distanz. Wenn sich der Varieté-Vorhang für göttliches Treiben mit übernatürlichen Kräften und Fähigkeiten öffnet, dann darf es offenbar nicht mehr sein als lustiger Budenzauber. Mit einer Infragestellung geht das Ganze auch schon los: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ zitiert der Feuergott Loge vor Beginn des Vorspiels Heinrich Heine. Das Wort „Es“ wiederholt er in der frei erfundenen Sprech-Szene und deutet in den Orchestergraben, aus dem — welch originelle Dopplung — der Ton „Es“ erklingt, jenes tiefe, urtümliche „Es“, das für die irdische Natur steht und mit dem das musikalische „Ring“-Drama beginnt.

Unterdessen erweist sich Hilsdorf einmal mehr als gewiefter Zauberkünstler des Musiktheaters. Der Regisseur, der Klavier spielen kann und viele Jahre lang im Chor sang, kennt nicht nur den Text, sondern auch die Partitur. Mithin sind alle Regieeinfälle hoch musikalisch und gehen Hand in Hand mit Wagners Klang-Dramaturgie. Verglichen mit Frank Castorfs vollkommen unmusikalischen „Ring“ in Bayreuth ist der Auftakt am Rhein schon mal eine Offenbarung. Besonders eindrucksvoll: die Szene in Nibelheim, wo der Zwerg Alberich die Macht des Rings missbraucht, aber von Wotan und Loge überlistet wird. Als sich der Zwerg zu Schauzwecken in einen Drachen verwandelt, stößt mit Gepolter plötzlich eine Reptil-Kralle wie aus „Jurassic Park“ durch die bröckelnde Decke — rhythmisch passend zur Musik. Leider hat sich Hilsdorf auch allerhand Albernheiten einfallen lassen. Wotan rollt anfangs im Rollstuhl an. Beim Walhall-Motiv geht das Saallicht an, als sei der Zuschauerraum die Bonzen-Burg — nun denn.

Musikalisch und darstellerisch ist die Produktion derweil ein Hochgenuss. Simon Neal wirkt als Wotan ungemein charismatisch und bewältigt die Partie auch stimmlich souverän. Norbert Ernst gestaltet die Rolle des Loge nicht nur mit Sinn für den verschlagenen Charakter, sondern lässt auch allerhand musikalische Schönheiten der Partei aufleuchten. Michael Kraus stellt das Grimmige und Koboldartige des Alberichs heraus, während Cornel Frey die Mischung aus Wehleidigkeit und Tücke von Alberichs Bruder Mime auf den Punkt bringt. Auch die Frauenrollen sind bestens besetzt, beispielsweise durch Anke Krabbe, Maria Kataeva und Ramona Zaharia als stimmschöne Rheintöchter. Großes Lob gebührt auch dem differenzierten und ausdrucksvollen Wirken der Düsseldorfer Symphoniker unter Leitung von Generalmusikdirektor Axel Kober im Orchestergraben. Dieses „Rheingold“ ist ein Genuss für die Ohren, gepaart mit szenischen Kammerspiel-Qualitäten — trotz mancher Albernheit.