Düsseldorf Hexenjagd: Ein Dorf zerlegt sich selbst
Die letzte Premiere vor der Sommerpause im Central entpuppt sich als furioses Lehrstück über eine fatale Massenhysterie.
Düsseldorf. „Fuck Jesus Christus“ brüllt Betty, ausgerechnet Betty, die Tochter des Gemeindepfarrers Parris. Gemeinsam mit ihren Freundinnen ist sie in der Nacht zuvor nackt um ein Feuer getanzt, mitten im Wald. Am Morgen wälzt sie sich in ihrem Bett hysterisch umher und ist völlig außer sich. In der beschaulichen Gemeinde Salem in Massachusetts, wächst daraufhin die Angst. „In diesem Dorf gehen seltsame Dinge vor sich“, mutmaßt Großgrundbesitzerin Ann Putnam. Und tatsächlich: Rachgierige Geister und Hexerei sind im Spiel.
„Halten Sie Ihren Verstand zusammen“, appelliert der herbeigerufene Exorzist John Hale an die aufgebrachten Dorfbewohner — vergeblich. Die Dorfgemeinschaft versinkt immer mehr in Verfolgungswahn und Massenhysterie, die mit Tituba, der einzigen dunkelhäutigen im Dorf, ihr erstes Opfer fordern. „Ich habe keinen Bund mit dem Teufel“, beteuert das hilflose junge Mädchen, doch die anderen fallen fanatisch und mit roher Gewalt über sie her.
Zum tragischen Helden avanciert wenig später Bauer John Proctor. Der dreifache Familienvater steckt gerade in einer handfesten Ehekrise mit seiner Frau Elizabeth, nachdem diese von seiner Affäre mit der jüngeren Abigail Williams erfuhr. Der Schwerenöter will seine Ehe retten und lässt seine Affäre eiskalt abblitzen. Die rächt sich auf perfide Weise und bezichtigt ihre Konkurrentin Elizabeth der Hexerei. Es kommt zu einer nervenzerreißenden Gerichtsverhandlung voller Falschbehauptungen, Intrigen und Offenbarungen, an dessen Ende es mehr Verlierer als Gewinner geben wird.
Das Theaterstück „Hexenjagd“ des amerikanischen Dramatikers Arthur Miller hat schon mehr als 60 Jahre auf dem Buckel und spielt im 17. Jahrhundert. Die Düsseldorfer Bühnenfassung kommt allerdings mitnichten als historisch-verstaubte Abhandlung über Hexerei und faulen Zauber daher, sondern überzeugt als moderne, packende Inszenierung auf ganzer Linie.
Das sterile Bühnenbild besteht lediglich aus mit Dreck verschmierten weißen Kacheln und mutet, nicht zuletzt dank einer verrosteten Leiter und einer Absenkung in der Mitte, wie ein leeres Schwimmbecken an. Die dezent eingespielte Hintergrundmusik verbreitet bedrohliche Endzeitstimmung, und alle Protagonisten auf der Bühne treten konsequent in schwarz-weißer Garderobe auf. Auch vor einschlägigen Gewaltszenen wird nicht zurückgeschreckt, sie werden allerdings nicht übermäßig brutal und aus Sensationslust, sondern wohlüberlegt in der Inszenierung platziert.
Im 14 Mitglieder starken Ensemble ragen vor allem Sebastian Tessenow und Judith Bohle als mit viel Tragik und Hilflosigkeit beladenes Ehepaar Proctor hervor, die die Zuschauer insbesondere im finalen Teil, als sich die Schlinge für beide immer weiter zuzieht, mitzureißen vermögen.
Der in Russland geborene Regie-Newcomer Evgeny Titov, der bisher vor allem als Schauspieler auf der Bühne Erfahrung sammeln konnte, will mit seiner Inszenierung von „Hexenjagd“ zeigen, dass man auch als einzelne Person die Kraft und den Mut aufbringen kann, sich gegen eine in Panik verfallene, gleichförmige Mehrheit zu stellen. Immer wieder werden einzelne Dorfbewohner in die Ecke gedrängt, und halten doch eisern an ihren Idealen fest. Unterm Strich ergibt das ein eindrucksvolles wie zeitloses Lehrstück über die Aushebelung des Rechtsstaats und den Verfall eines homogenen Dorfes.
Die erste Inzenierung Titovs in Düsseldorf ist die 37. und gleichzeitig letzte Premiere der ersten Spielzeit unter Wilfried Schulz. Nach zweieinhalb mit großen Beifall goutierten Stunden kann man dem Newcomer getrost zu einem furiosen Schlusspunkt gratulieren.