Kultur in Düsseldorf Buch über die Becher-Schule: „Das Düsseldorfer Kunstwunder“
Stefan Gronerts Buch zur Düsseldorfer Becher-Schule ragt durch Präzision, Schönheit und einige neue Akzente aus der Masse von Katalogen zum Thema heraus.
Düsseldorf. Die Bücher von Lothar Schirmer zur Becher-Schule sind nicht nur informativ, sondern auch schön. Mit großer Hingabe ediert er aktuell das 51. Werk dieser Art, es ist Stefan Gronerts zweite Auflage zur „Düsseldorfer Photoschule“. Der Autor wechselte soeben vom Kunstmuseum Bonn als Kurator für Fotografie und Medien ans Sprengel Museum. Er spricht von einem „Düsseldorfer Kunstwunder“.
Sein Buch ist umfassender als der aktuelle Katalog im Städel. Er bringt weniger bekannte Motive und rückt Fakten in ein neues Licht. So beweist er, dass Axel Hütte als Erster zum großen Format im Porträt gegriffen hat, aber nach Jeff Wall und Günther Förg. Er verwendete es 1986 in der Kneipe Ohme Jupp, während sein Ateliernachbar Thomas Ruff bei einer Ausstellung in Villeurbanne erstmals den monumentalen Maßstab zeigte. Beide Kollegen blähten das Medium zu Dimensionen auf, die sonst nur der Konsumindustrie vorbehalten waren. Thomas Struth und Andreas Gursky folgten wenig später.
Ein Schmunzeln erregt Gronerts Bemerkung, dass die Künstler bei der damals auf 180 Zentimeter beschränkten Fotobahn tricksten, indem sie den weißen Fotorand an den Abzug „fast unmerklich“ anklebten. Dieses Buch respektiert die Kunst von Simone Nieweg und Elger Esser, die im Städel sträflich vernachlässigt werden. Dabei war es doch in der coolen Düsseldorfer Kunstszene eher ungewöhnlich, wenn Nieweg über Gemüsefelder am Niederkasseler Rheinufer lief und neben Kohlköpfen primitive Hütten in den Fokus nahm. Wenn Elger Esser Kunst und Literatur in seinem Werk vereint, so hat allein diese Tatsache ein Alleinstellungsmerkmal. Das Buch zeigt zugleich seine frühen Porträts, die fast unbekannt blieben.
Andreas Gurskys Bildsprache gilt für Gronert als klar definiert und strukturiert. Seine Arbeiten vergleicht der Kunsthistoriker aufgrund des erhöhten Standorts vielfach mit der Erhabenheit in den Motiven von Caspar David Friedrich.
Der Favorit bei Gronert ist Thomas Ruff, dem er eine „außergewöhnliche Position innerhalb der Düsseldorfer Fotografie“ bescheinigt. 1987 ließ Ruff die ersten Fotos digital retuschieren. Seine Porträts pfeifen auf eine Charakterisierung, sie funktionieren wie Passbilder: ganz Gesicht, regungslos und emotionslos. Den Abschluss dieser Serie macht er 1991 mit einem Doppelselbstporträt. Dabei variierte er das klassische Mittel der Doppelbelichtung mithilfe der Digitalisierung.
1993 griff Ruff selbst zur Kamera und zog durch sein Düsseldorfer Milieu mit einem Restlichtverstärker. Dadurch suggerierte er den Eindruck, dass es sich hier um bedrohliche polizeiliche oder gar militärische Überwachungsaktionen handelt, wie sie die Amerikaner als TV-Bilder im verheerenden Irak-Krieg 1991 in die Wohnzimmer funkten. Was Ruff mit dem Bild treibt, lässt nach Gronerts Meinung den konventionellen Rahmen der Fotografie längst hinter sich.
„Substrate“ aus überlagerten Comic-Motiven, Pornos in süßlicher Farbgebung aus dem Internet, digitale Manipulationen, die Arbeit mit Fundstücken oder mit mathematischen Kurven in abstrakten Linienverläufen sprengen die übliche Vorstellung von einer Fotografie. Gronerts Buch ist ein Standardwerk.