Pianist Lucas Debargue zerlegt Werke in ihre Einzelteile

Echo-Klassik-Preisträger spielte Chopin und Szymanwoski.

Foto: Mark Wohlrab

Nicht alles war schlecht beim Echo Klassik. So gewann Lucas Debargue letzten Herbst den damals noch begehrten, heute in Verruf geratenen Preis in der Kategorie „bester Nachwuchskünstler“. Sein ausgeprägtes Tastentalent und seine Gabe, selbst höllisch schwierige Stücke klar zu gliedern und bei aufgeheizten Akkordketten keinen Klangmatsch zu produzieren, bewies der 1990 in Paris geborene Pianist jetzt beim Klavier-Festival Ruhr. Im gut besuchten Schumann-Saal gab er ein streng polnisches Programm zum Besten: exquisite Chopin-Stücke, die viele seiner Kollegen gerne als Zugaben spielen, und die 2. Sonate A-Dur von Karol Szymanowski. 1911 von Arthur Rubinstein uraufgeführt, konnte sie sich, vermutlich auch wegen der wahnwitzigen Schwierigkeiten, auf den Konzertpodien nicht so recht durchsetzen.

Doch für Debargue ist das eine besondere Herausforderung, hat er sie doch kürzlich auf CD eingespielt. Konzentriert, introvertiert, beinah scheu wirkt der 27-jährige Franzose.

Sobald der schlaksige Debargue am Steinway Platz nimmt, scheint er sich durch eine unsichtbare Wand abzuschirmen. Man spürt sofort: Hier buhlt kein Publikumsliebling mit Tricks um Aufmerksamkeit und Sympathie, sondern ein Musiker hört in die Musik hinein, spielt und leuchtet von innen. Ohrwürmer wie die Chopin-Polonaise in As-Dur an den Anfang zu setzen, ist sicherlich geschickt.

Doch bei aller Brillanz, manchmal kalter Pracht und manueller Könnerschaft, die er unaufgeregt und wie selbstverständlich liefert, überrascht er sofort durch Verzögerungen und Akzente. Manchmal scheint er den tänzerischen Schwung bewusst auszubremsen, so dass man aufhorcht und streckenweise ganz neue Seiten an diesem Konzertschlager entdeckt. Eigenwillig, aber nicht eigensinnig, intoniert Debargue die Fis-Dur-„Barcarolle“, in der er beinah impressionistisch angehauchte Bilder zaubert.

Im Scherzo Nr. 1 (h-Moll) blitzen grelle Farben und scharfkantige Rhythmen auf, ebenso im zweiten Teil des Nocturne, das er in geheimnisvoller Stille, nachdenklich verträumt beginnt.

Doch das Außergewöhnliche in allen Werken ist die Art, wie er sie in Einzelteile zerlegt. Ein scharfsinniger Analytiker ist am Werk, der zwar äußerlich keine Emotionen zeigt. Seine Interpretation jedoch wühlt auf, begeistert und führt am Ende, nach kurzer Denkpause, zu Jubel und Bravorufen. Der Knüller war die Szymanowski-Sonate. Ein weit ausgreifender, stürmischer Beginn: Beinah orchestrale Klang-Opulenz entsteht, die zu erdrücken droht. Doch Monsieur Debargue läuft der erste Satz nicht aus dem Ruder, er sortiert die Klangmassen und gerät, selbst bei kraftvoll ausladenden Kaskaden und den rasanten Akkordketten, keine Sekunde in romantische Schwärmerei. Doch nach so viel Hitze und Tastendonner beschwichtigt Debargue bei seiner ersten Zugabe mit einem leisen, romantischen Wiegenlied. Und der eben noch so rationale Analytiker beginnt zu träumen.