NSU-Prozess: Ab Mittwoch steht Carsten S. vor Gericht
In Düsseldorf war er ein schwuler Sozialpädagoge — doch zuvor soll er das Morden der Neonazis unterstützt haben.
Düsseldorf. Wie Carsten S. dieses Wochenende verbringt, weiß man auch bei der Bundesanwaltschaft nicht. Der 33-Jährige ist seit Mai 2012 im Zeugenschutzprogramm. Nicht einmal seine Familie kann ihn erreichen, heißt es.
Klar ist, was S. am Mittwoch tun wird — denn ab diesem Tag sitzt er mit Beate Zschäpe und anderen mutmaßlichen Terror-Unterstützern auf der Anklagebank im Münchener Oberlandesgericht. Weil er laut Anklage und seinem eigenen Geständnis eine Waffe besorgt hatte, mit der die Neonazis des NSU neun Menschen getötet haben sollen.
Carsten S. hatte mit seiner rechten Vergangenheit lange abgeschlossen, als am 1. Februar des vergangenen Jahres vermummte Männer der Eliteeinheit GSG 9 vor seiner Wohnungstür in Oberbilk standen und ihn festnahmen.
Sein neues Leben als geouteter Homosexueller und engagierter Sozialpädagoge war mit einem Schlag vorbei. Und Düsseldorf plötzlich mittendrin im braunen Sumpf, der bis dahin Zwickauer Zelle hieß und weit weg schien.
In ihrer aktuellen Ausgabe zeichnet die „Zeit“ das Leben des Wahl-Düsseldorfers nach — und versucht mit Hilfe von Psychiatern und dem Anwalt von S. zu ergründen, wie der Junge aus Jena in seine Neonazi-Karriere stolperte.
Das Fazit: Offenbar erfuhr der junge Homosexuelle, der überall aneckte, erst in der rechten Szene Anerkennung. Dort stieg er rasch auf zum NPD-Kreisvorsitzenden, fühlte, wie es ist, wenn man zu ihm aufsieht.
Dafür unterdrückte er seine sexuelle Identität, hörte Zillertaler Türkenjäger statt Abba, die er lieber mochte. Bis es eben nicht mehr ging.
Dann brach Carsten S. mit allem, zog nach Düsseldorf, studierte Sozialpädagogik. Ob ihm, als der NSU plötzlich im November 2011 in der Presse auftauchte und die rassistische Mordserie aufgeklärt wurde, seine mögliche Rolle sofort bewusst war, bleibt vorerst sein Geheimnis.
Doch nach der Festnahme hat er „sich umfassend eingelassen“, sagt ein Sprecher der Bundesanwaltschaft. Auch sei die Abkehr vom rechten Gedankengut glaubhaft, seit 2001 hatte S. keinen Kontakt mehr in die Szene. Deshalb kam er im Mai auf freien Fuß.
In seinem Job war S. schon vorher offen mit seiner Vergangenheit umgegangen — wenn auch nicht in vollem Umfang. Die Vorwürfe waren dennoch ein Schock, die Aids-Hilfe löste den Vertrag auf. „Für mich war es — auch was den Ruf der Einrichtung angeht — wichtig, eine klare Trennung herbeizuführen“, sagt Geschäftsführer Peter von der Forst.
Er habe unter das Kapitel „einen Schlussstrich gezogen“. Aber: „Natürlich bewegt mich der Prozess sicher mehr als jemanden, der Carsten nicht kennt.“
Kontakt gab es keinen mehr. Auch Peter von der Forst wird seinen Ex-Kollegen erst im Fernsehen wiedersehen, wenn am Mittwoch dessen Anklage wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen verlesen wird.
Ob er nach dem Prozess — gleich wie er ausgeht — weiter geschützt werden muss, kann man bei der Bundesanwaltschaft noch nicht kommentieren. Es wird ohnehin dauern: Experten rechnen mit einem Ergebnis des Mammutverfahrens frühestens in einem Jahr.