Phantombild: Wie man einer Erinnerung auf die Spur kommt

Wer Zeuge einer Straftat wird, trifft womöglich auf Joachim Holz und seine Kollegen. Sie erstellen Phantombilder aus den Beschreibungen der Zeugen. Jedes vierte Bild führt tatsächlich zum Verdächtigen.

Düsseldorf. Wie sah dieser Mann aus, der Ihnen heute auf dem Weg ins Büro schnellen Schrittes entgegengekommen ist? Lange Haare oder Glatze? Mit oder ohne Bart? Feist oder hager? Erinnern Sie sich? An einen Mann von heute morgen vielleicht schon — aber was, wenn die Begegnung schon eine Woche her ist? Oder sogar noch länger.

„Wenn ich nur gewusst hätte, dass ich genau hinsehen muss“ — diesen Satz hört Kriminalhauptkommissar Joachim Holz immer wieder. Wenn für die Ermittlungsarbeit in einer der Dienststellen in Nordrhein-Westfalen ein Phantombild nötig ist, dann wird er gerufen; und dann muss es oft schnell gehen. „Die Erinnerung an ein Gesicht ist eine Spur wie Fingerabdrücke oder DNA“, sagt er. Und die gilt es zu sichern.

Ein bisschen sieht er aus wie ein Künstler. Mit langem weißen Haar würde man ihn vielleicht doch eher für einen Kreativen als für einen Beamten halten. Mit Kunst und Kreativität hat seine Arbeit dann aber doch wenig zu tun. „Phantombildersteller“ — nicht Zeichner nennt er sich. Auch wenn es in den Dienststellen oft heißt: „Ruf mal den Zeichner an.“ Doch eine Sache, die entscheidend ist, gibt es bei Joachim Holz im Unterschied zu einem Zeichner nie: ein weißes Blatt Papier.

Doch noch mal ganz von vorne. Wenn Joachim Holz und seine Kollegen zum Einsatz gerufen wird, geht es meist um schwere Verbrechen: Mord, Totschlag, Vergewaltigung. Zuletzt zum Beispiel, als in Unterbilk eine Frau auf offener Straße niedergestochen wurde. Der Gesuchte ist mittlerweile gefasst.

In NRW gibt es drei Beamte, die sich alle etwa 400 Einsätze pro Jahr teilen. Jeder wird etwa drei bis vier Mal pro Woche gerufen. Kommen sie in die Dienststelle, treffen sie dort auf Zeugen, die einen Tatverdächtigen vor, während oder nach der Tat gesehen haben. Das können Passanten sein oder aber auch das Opfer selbst. Blickkontakt sollten sie in jedem Fall mit der zu beschreibenden Person gehabt haben.

Dann geht es erstmal in die Aufwärmphase. Holz erklärt seinem Gegenüber, wie das Phantombild entstehen soll, dass es auch sein kann, dass es nicht klappt. „Ich versuche, den Zeugen zu entstressen“, sagt er. Denn auf so einem Zeugen lastet oft viel Druck. Manche hätten zum Beispiel Angst, den Verdacht auf die falsche Person zu lenken. „Ein Phantombild ist aber immer nur ein Hilfsmittel — nie ein richtiger Beweis“, sagt Joachim Holz.

Danach beginnt die Assoziationsphase. Holz zeigt dem Zeugen Bilder aus der Sammlung. Alle zeigen nicht reale Personen, sondern sind technisch erstellt. In dieser Phase zeigt sich der wichtige Unterschied zum Zeichnen auf dem weißen Blatt Papier. „Es ist für viele schon schwierig, sich zu erinnern. Dann müssen sie auch noch formulieren, was sie im Kopf haben und ich muss auch noch verstehen, was sie meinen“, sagt Holz.

Denn was stoppelig, dick, dünn, pickelig bedeutet, interpretiert eben jeder anders. So werden den Zeugen also fertige Gesichter gezeigt und sie können Merkmale wieder erkennen. „Alle, auf denen etwas ist, das passt, speichere ich ab“, sagt der Kommissar.

Aus diesem Pool kann er dann später schöpfen. Am besten fängt man mit der Gesichtsform an. „So wie der da, nur die Haare waren anders“, „Irgendwie schmaler“, „Mehr Bart“. Mit dem Programm Photoshop passt Holz die vorher ausgesuchten Gesichter an. Dazu hilft auch eine ausführliche Sammlung an fertigen Merkmalen. „Akne“, „Pausbacken“, „Gelfrisuren“, heißen nur ein paar der Ordner, aus denen er Dinge hinzufügen kann.

Zudem könne man den Eindruck des Gesichts auch durch Schattierungen verändern — die nötigen bildtechnischen Fähigkeiten hat sich Holz im Laufe der Zeit angeeignet.

Joachim Holz, Kriminalhauptkommissar

Aufgehört wird erst, wenn der Zeuge zufrieden ist. „Stellen Sie sich vor, der Verdächtige würde das hier sehen. Wie würde er reagieren?“, fragt Holz dann oft.

Wo das Bild später veröffentlicht wird, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. „Das reicht von dem kleinen Kreis der Ermittlergruppe bis hin zur Fernsehsendung Aktenzeichen XY.“ Für die Veröffentlichung ist aber immer ein richterlicher Beschluss nötig.

Insgesamt führt etwa jedes vierte Bild zu Hinweisen, die den Ermittlern einen Verdächtigen liefern. Das behält Holz immer gut im Auge, vergleicht später auch die echten Gesichter mit seinen Phantombildern — auch nach 22 Jahren im Beruf noch.

Manchmal testet sich der Kommissar auch selbst. In der Straßenbahn zum Beispiel. Einmal kurz hinsehen, Augen zu — was hat er sich gemerkt? Könnte er von diesem Eindruck ein Bild erstellen? „Das ist auch bei mir ganz unterschiedlich.“ Manchmal gebe es eben Gesichter, die so frappierend und auffällig seien, dass man sie nicht so schnell vergisst. Doch die Dutzendgesichter gebe es eben auch. „Selbst wenn ich da ein Bild erstellen könnte — bringen würde es nicht viel.“