Gerichtsprozess in Düsseldorf Sieben Jahre Haft für Angriff

Düsseldorf · Vor dem Landgericht Düsseldorf musste sich ein 46-Jähriger wegen versuchten Mordes verantworten. Jetzt ist das Urteil gefallen. Über einen Mann, der viele Niederlagen erlebt hat, einmal die Oberhand behalten wollte – und dann zustach.

 Der Angeklagte mit seinem Verteidiger Frank Schubert vor Gericht.

Der Angeklagte mit seinem Verteidiger Frank Schubert vor Gericht.

Foto: David Grzeschik

Kurz nach Abbruch seiner Ausbildung und lange bevor A. vor Gericht landete, legte er auf. Als DJ am Mintropplatz war er unterwegs. Vom Mintropplatz bis zum Hauptbahnhof sind es nur wenige Hundert Meter. Von dort bekam A. seine Drogen. Durch die Drogen und durch Alkohol habe seine Seele keine Schmerzen mehr gehabt. Und A., 46 Jahre alt, hat in seinem Leben viele Schmerzen erlitten. So zumindest hat es der Psychiater und Gutachter Sven-Uwe Kutscher vor Gericht vorgetragen.

Schon damals, als A. klein war, schickte ihn sein Vater beim Fernsehgucken aus dem Raum. Er habe es nicht ertragen können, seinen Sohn so zu sehen, berichtet Kutscher. Mit diversen körperlichen Leiden wie einer Gehbehinderung hat A. von klein auf zu kämpfen. „Er wurde sein ganzes Leben lang beleidigt, ausgegrenzt und diskriminiert“, sagt der Gutachter. Während selbst sein Vater ihn „als behinderten Menschen nicht akzeptiert“, wurde seine Mutter eine wichtige Bezugsperson. „Sehr ideal, sehr vertraut. Sie hat ihm Wertschätzung gegenübergebracht“, sagt Kutscher. Liebesbeziehungen habe A. in seinem Leben hingegen nicht gehabt.

Als der Gutachter das Wort Beziehungen erwähnt, hat A. seine Hände zum Dreieck geformt, die Fingerkuppen sind aneinandergepresst. Mit beiden Zeigefingern reibt er sich die Augen. Als Angeklagter sitzt er nun im holzverkleideten Gerichtssaal, zwei Stufen tiefer als der Richter, neben seinem Verteidiger Frank Schubert und trägt ein schwarzes Basecap. „Stimmt das so?“, fragt Richter Rainer Drees den Angeklagten nach Aussage des Sachverständigen. „Ja, die Schmerzen sind da“, antwortet der Angeklagte.

Seit Ende Januar versuchte das Landgericht Düsseldorf herauszufinden, ob A. im vergangenen Jahr einen Mord an einem Hausmeister aus Gerresheim begehen wollte. Im Juli 2022 trafen Täter und Opfer aufeinander und A. warf dem Hausmeister vor, dass er seiner Mutter Geld gestohlen habe. Ausgerechnet seiner Mutter. Als sich das Opfer nach einem verbalen Streit von ihm abwandte, stach A. zu. „Am Rücken hab‘ ich gesehen, dass der verletzt war“, sagt eine Zeugin in der Vernehmung, die von der Auseinandersetzung der Männer geweckt wurde. Sie habe daraufhin die Polizei gerufen. Mit einem Küchenmesser, Klingenlänge etwa 20 Zentimeter, hatte A. den Mann erwischt. Das Opfer überlebte, hat heute nur noch einen Lungenflügel. Und A. ist wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung angeklagt.

Als „wenig stabil, abhängig, impulsiv, reizbar und egozentrisch“ charakterisiert der Gutachter den Angeklagten. Eine Psychose, Persönlichkeitsstörung oder Schizophrenie sei bei A. hingegen nicht festzustellen. Seine Lebenszufriedenheit und sein Selbstwert seien niedrig. Um seine Mutter sei er besorgt. Und an dem Tag, als es zur Tat kam, tat der Angeklagte das, was er so oft machte, um seine Schmerzen zu betäuben: Er konsumierte Kokain und Alkohol. Während der Tat müssen in seinem Blut rund 1,7 Promille gewesen sein. Die Drogen hätten ihn bei der Tat zwar enthemmt. Doch die „Unrechteinsicht war sicherlich vorhanden“, als A. auf das Opfer traf, sagt Kutscher.

Je detaillierter über seine Persönlichkeit geredet wird, desto stärker beginnt A. während der Verhandlung mit seinen Händen zu spielen. Das fällt auch dem Richter auf, der den Gutachter darauf anspricht. „Er will das Heft des Handelns in der Hand behalten“, entgegnet Kutscher. Nach all den Erniedrigungen einmal nicht der Verlierer sein. Wie am Tattag. Und so dreht sich im Prozess vieles um eine Frage: Warum hatte A. ein Messer dabei? War es sein Ziel, den Hausmeister zu ermorden? Oder ging es ihm um Selbstverteidigung in anderer Angelegenheit? Das zumindest behauptet der Angeklagte. Angeblich sei er im Streit mit einem Verwandten von ihm gewesen, der bereits jemanden „abgestochen“ habe. Deshalb habe er das Messer dabeigehabt.

Auch weil es „von reinem Glück abhängig“ gewesen sei, dass das Opfer heute noch am Leben ist, fordert die Nebenklage in ihrem Plädoyer eine lebenslange Haftstrafe. Staatsanwaltschaft und Verteidigung sprechen sich für mildere Strafen aus.

Am Ende verurteilt das Gericht den Angeklagten nicht wegen Mordes, aber versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zu einer Haftstrafe von sieben Jahren. Wegen versuchten Mordes wird der Mann nicht schuldig gesprochen, da das entsprechende Merkmal der Heimtücke laut Gericht nicht festzustellen sei. Zur Therapierung seiner Suchtkrankheit muss A. zudem anderthalb Jahre in eine Erziehungsanstalt. Dafür hatten zuvor auch Staatsanwaltschaft und Verteidigung plädiert. Innerhalb einer Woche kann gegen das Urteil noch Revision eingelegt werden.

Das letzte Wort vor der Urteilsverkündung hatte derweil der Angeklagte. Dieser nutzte die Möglichkeit, um sich beim Opfer zu entschuldigen. „Es tut mir leid“, sagte er. Am liebsten würde er es rückgängig machen. Er meine das ernst. Entschuldigt hatte sich A. dabei bereits in einer früheren Verhandlung. Damals schob er nach, dass ihm das so geraten wurde. Und er es letztes Mal vergessen habe.