Frauenbild Psychotherapeutin: „Selbst in der Gruppe fühlen sich viele nicht mehr sicher“
Als Angriff auf das westliche Frauenbild sieht Anette Paffrath die Silvester-Nacht.
Düsseldorf. Die Ereignisse in der Silvester-Nacht haben vieles verändert. Die Frauen in Köln aber auch in Düsseldorf, wurden mit einer Form von Sexual-Kriminalität konfrontiert, die es bisher so nicht gegeben hat. Was macht das mit den Opfern? Psychotherapeutin Anette Paffrath versucht, auf die Frage Antworten zu geben.
Hat sich seit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht für Sie etwas geändert?
Anette Paffrath: Das ist sicher so. Hatte ich früher meist Patientinnen in meiner Praxis, bei denen es eine Täter-Opfer-Beziehung gab, handelt es sich bei der neuen Form von sexuellen Übergriffen um Menschen, die sich noch nie früher begegnet sind. Das kann noch größere Panik und Ängste auslösen, die am Ende dazu führen, dass sich Frauen nicht mehr aus dem Haus trauen.
Das bedeutet, Frauen fühlen sich nicht mehr sicher?
Paffrath: Bisher hat man sich in der Gruppe geschützt gefühlt. Mein Sohn war an der Schule, in der damals ein Kind verschwunden ist (Deborah Sassen wurde im Februar vor 20 Jahren auf dem Schulweg entführt, die Red.) . Wir haben den Kindern dann gesagt, dass sie in Gruppen von drei bis vier Schülern gemeinsam nach Hause gehen sollen. Dieses Gefühl der Sicherheit gibt es nicht mehr, wenn Opfer aus einer Gruppe isoliert werden, wie das bei den Silvester-Übergriffen der Fall war. Das ist eine sehr bedenkliche Entwicklung und ein großes gesellschaftliches Problem.
Wie können Sie Frauen helfen, die in eine solche Situation geraten sind?
Paffrath: Sehr häufig haben die Opfer das Gefühl, selbst etwas falsch gemacht und sich mitschuldig gemacht zu haben. Auch wenn das überhaupt nicht zutrifft. Sie beziehen die Tat auf sich. In Gesprächen versuche ich herauszuarbeiten, dass sie das Geschehen nicht verhindern konnten. Aber man kann es vielleicht in einer ähnlichen Situation anders machen.
Was raten Sie Frauen, um ihr Gefühl an Sicherheit zu verstärken?
Paffrath: Ich empfehle Wendo-Kurse. Das ist eine Mischung aus verschiedenen Selbstverteidigungstechniken, unter anderem Judo und Karate. Frauen können lernen, wie sie sich in kritischen Situationen verhalten. Zum Beispiel mit lauter Stimme ,Feuer’ rufen oder jemanden in unmittelbarer Umgebung mit Blickkontakt direkt laut ansprechen. Es ist wichtig in einer Gefahrensituation die Handlungsfähigkeit zurück zugewinnen. Menschen erstarren in Angst, halten die Luft an und es bleibt ihnen die Stimme weg. Die Stimme bewusst zu nutzen, hilft, aus der Lähmung herauszukommen.
In Düsseldorf sind auch drei Soldatinnen in der Altstadt bedrängt und begrapscht worden. Wie kann man solchen Opfern helfen?
Paffrath: Die Opfer müssen versuchen, an ihre Wut zu kommen. Ich meine eine gesunde, gute Wut. Ganz wichtig ist es, dass sie ihre Selbstachtung wieder finden. Das hängt entscheidend von der Persönlichkeit ab. Es gibt Frauen, die einen solchen Vorfall ganz gut verkraften. Aber bei sensiblen Menschen kann es sein, dass die Seele sehr beschädigt wird. Möglicherweise für das ganze Leben. Das kann eine jahrelange Therapie erfordern.
Welche Konsequenzen hat diese neue Form der Sexual-delikte für unsere Gesellschaft?
Paffrath: Das ist ein Angriff auf unser Frauenbild. Wir sind in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der sich Frauen frei bewegen können. Die Emanzipation haben wir uns lange erkämpft. Das Verhalten aus der Silvesternacht ist ein instinktives archaisches Verhalten, was dazu dient, Frauen zu demütigen und zu verletzen. So ein Verhalten widerspricht den Werten einer humanistischen aufgeklärten Gesellschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, Minderjährige zu schützen, die Gleichstellung der Geschlechter und die Menschenwürde zu wahren. Wir können in dieser Hinsicht keine Rückschritte tolerieren.