Kunstereignis Rundgang der Düsseldorfer Kunstakademie ist wie ein Überraschungsei
Düsseldorf · Der Rundgang in der Düsseldofer Kunstakademie ist ein Rendez-vous der Jungstars mit Küken, IK und einer voll gefressenen Freiheitsstatue.
An diesem Mittwoch ab 10 Uhr beginnt der Rundgang an der Düsseldorfer Kunstakademie, das beliebteste Kunstereignis in der gesamten Region, mit rund 45 000 Besuchern. Wer schon jetzt neugierig ist, wird von Kontrolleuren abgewiesen. Es herrscht eine neue Strenge im Haus. So kann niemand erleben, wie Thomas Kohn Weihrauch in die Klasse Gostner versprüht. Selbst die Professoren, die ihn prüften, bekamen nur den Geruch in die Nase. Yael Kempf aus der Schneider-Klasse, die heute ihren Abschluss macht, will den Professoren nichts anderes als einen makellos weiß gestrichenen Saal präsentieren. Der Raum als Bild gleichsam. Aber keine Angst, über 500 Studenten sind wild entschlossen, den Gästen ein paar vergnügliche oder besinnliche Stunden zu präsentieren.
Viel Staub und Dämmwolle unter den alten Dielenböden
Michael Dikta (Klasse Piller) saß beim letzten Rundgang gemütlich auf einem Stuhl, schaute auf eine Ritze im Boden und wunderte sich, denn er konnte eine Etage tiefer die Leute sehen, die im Erdgeschoss herumliefen. Der Boden hatte ein Loch. Das aktuelle Thema war gefunden. Er schraubte diesmal eine Latte aus dem grau gestrichenen Holzfußboden und hob sie hoch, um auf Dämmwolle und Staub zu schauen. Auf der anderen Seite des Raumes hob er gleichfalls eine Latte hoch, um „Durchzug“ zu erzeugen. Manchem Kunstgänger wird spontan klar, wie labil dieses hohe Haus doch ist. Von außen sieht das Bauwerk wie ein kolossaler Tempel aus. Im Innern steht mancher Eleve auf schwankendem Boden. Das lässt sich auch symbolisch werten, können sich doch kaum zwei Prozent der Absolventen nur mit Kunst durchs Leben schlagen.
Stile und Trends gibt es längst nicht mehr. Die Kunst ist so unfassbar wie unsere Welt. Marleen Rothaus (Klasse Schulze) hängt nicht etwa Bilder an die Wand, sondern bockt Banner auf. Damit will sie am 8. März, dem Frauenprotesttag, im weltweiten Kampf um die Gleichstellung der Frau dabei sein. Die Motive auf ihren Bildern gelten den Heldinnen, die wider die patriarchalischen Ideale der Männer zu Felde ziehen.
Die Freiheitsstatue lässt es sich bei Pommes gut gehen
Die jungen Leute schrecken auch vor der Politik nicht zurück. Jiseong Boo (Klasse Skreber) lässt die rundlich gewordene Freiheitsstatue Pommes mit Mayo essen. David Benedikt Wirth beschäftigt sich mit dem Hexagramm-Symbol sowie dem blauen Farbton im Davidstern. Er versucht, das Politische vom Religiösen zu entkoppeln, indem er die verschiedensten Blautöne variiert, was durchaus erlaubt ist. Karo Schulz (Hörnschemeyer) beschäftigt sich mit den Wasserspeiern an den französischen Kathedralen, die dazu dienen, das Böse aus den Innenräumen herauszuhalten. Ihr Mischwesen hat allerdings weder Füße noch Hände, so dass es gespenstisch von der Wand herabhängt.
Manche Konzepte werden erst noch realisiert. So steht am Mittwoch um 14 Uhr ein noch leerer Wassertank gleich im ersten Raum (Klasse McBride) bereit. Till Bödeker will ihn mit Wasser und Salz füllen und mutige Besucher auffordern, durch die Öffnung einzusteigen, die Klappe zu schließen und eine Stunde dort ruhig zu verbringen. Dazu wird Kostas Davrias mit Klangschalen durch den Raum laufen und für eine alternative Musik sorgen. Wer will, kann sich zeitgleich eine besondere „Sitzung“ anschauen, indem konservative Schlipse so versteift sind, dass sie einen Grotesktanz aufführen.
Mit strahlenden Gelbtönen lockt Kevin Gratza in die Grünfeldklasse. Beim Nähertreten wird es eher gruselig. Der Student hat in einer Zoohandlung tote Küken erstanden, wie sie als Futtertiere benutzt werden. Er steckte sie in gelbe Kunststoff-Halbkugeln und goss sie mit Kunstharz aus. Nun können die Tiere nicht verschimmeln. Sie sind so haltbar wie der künstliche Baum von Elija Wagmann, der Metallplatten mit einem Plasmaschneider in einen Weihnachtsbaum verwandelt, den man auch im nächsten Jahr verwenden kann.
Perfide geht es in der Schneider-Klasse zu. Hier hat Ulvis Müller die echte Tür verdoppelt. Das könnte fatal für einen Besucher werden, der die zweite Tür von innen verschließt und nun nicht mehr rauskommt. Es geht dem Studenten aber auch um Fragen der Bildhauerkunst. In der Musik ist das Sampeln gang und gebe. In der Realität kann das Verrammeln und Verriegeln gefährlich sein. Offenheit ist allemal besser.
Gemütliche Rast in einem besonderen Kneipenraum
Denis Saridas, Tutor der Schneider-Klasse, ist einem Gesicht auf der Spur, das sich nicht fassen lässt. Er projiziert es auf fluoreszierendes Plexiglas, das dem Gast wie ein Geist entgegenspringt. Der Student hat das Video 90-fach verlangsamt, so dass der Computer mittels Algorythmen den Film mit Zwischenbildern versieht. Dabei kann es geschehen, dass die Figur sich in verlockenden Farben verflüchtigt und gleich im Nirgendwo verschwinden wird. Nick Schmidt lässt sein Alter Ego schrumpfen und mit künstlicher Intelligenz zu einem Wechselbalg werden, mal jung und schön, mal alt und böse.
Wer müde vom vielen Sehen ist, sollte bei Alexandro Böhme (Anzinger-Klasse) einkehren. Er hatte im Vorjahr mit den Absolventen Andreas Jonak und Jonathan Auth den Raum der Akt-Klasse in eine Bier- und Weinstube verwandelt. Nun hängt Böhme seine Holzschnitte von der Decke herab und lässt dabei mit Ikarus grüßen, den die Sonne offensichtlich schon verlassen hat, denn der Körper sinkt halb verkohlt aus einer Wolke auf die Erde herab.