Sensibler Virtuose am Schlagzeug

Alexey Gerassimez debütierte mit Tan Duns Konzert für Schlagzeug und Orchester in der Tonhalle.

Foto: wildundleise.de

Als kleiner Junge sei er schon einmal in der Tonhalle gewesen, erzählt Alexey Gerassimez (30) dem Publikum. Der hoch talentierte Schlagzeuger aus Essen, der gerade das Solo aus dem Konzert „The Tears of Nature“ (2012) des chinesischen Komponisten Tan Dun mit Bravour gespielt hat, bedankt sich für den Beifallsjubel und berichtet von seinem Jugenderlebnis im Konzertsaal. Er habe damals die Schlagzeugerin Evelyn Glennie in dem Saal erlebt, was für ihn sehr inspirierend gewesen sei. Darum messe er seinem Debüt in der Tonhalle eine ganz besondere Bedeutung bei.

Rund 30 Auto-Minuten ist die Heimat des Musikers von der Tonhalle entfernt. Doch vor seinem ersten Auftritt am Rhein führten ihn Konzertverpflichtungen in die Ferne, in die USA, nach China und Südkorea. Er war auch bei der Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie unter den Einweihungs-Musikern.

Aus nördlicher Richtung stammt auch das Orchester, mit dem Gerassimez in der Tonhalle gastierte: die NDR Radiophilharmonie Hannover. Am Pult steht Komponist Tan Dun selbst. Der 60-Jährige gehört zu den Komponisten, die sich auch als Dirigent einen Namen machen konnten. Aber sowohl sein Kompositionsstil als auch seine Dirigiertechnik weichen vom Üblichen ab: Tan Dun bezieht Naturgeräusche in seine Werke ein. Beispielsweise beginnt der erste Satz mit dem rhythmischen Klackern von Steinen, das wie Schall und Echo durchs Orchester zieht. Gegen Ende der Komposition macht ein mit kleinen Kieseln gefülltes Klangrohr ein Regengeräusch. „Regenmacher“ heißt das ursprünglich im südamerikanischen Chile entstandene Effektinstrument.

Tan Duns Dirigat wirkt so geheimnisvoll wie sein Stück, dessen drei Sätze durchweg die Bezeichnung „Misterioso“ tragen. Die Zeichengebung sieht symmetrisch aus, als werfe der Dirigent mit Hilfe einer elektronischen Gestensteuerung geometrische Figuren an die Wand. Mal bilden Tan Duns Hände ein Rechteck, mal eine Pagode. Bei seiner eigenen Komposition fiel das weniger auf, da besondere Stücke ja auch einer besonderen Darbietung bedürfen. Doch auch in Mussorgskys „Bildern einer Ausstellung“ (Orchesterfassung: Maurice Ravel) behält Tan Dun seine puristische Art zu dirigieren bei. Ob jedes einzelne Orchestermitglied damit zurecht kommt, ist zwar fraglich, doch ein Spitzenapparat wie die NDR Radiophilharmonie kann auch einer sparsamen Zeichensprache souverän folgen. Die Aufführung gelang jedenfalls technisch fast tadellos - von ein paar Patzern abgesehen. Und es wurde auch eine detail- und facettenreiche Interpretation.

Star des Abends blieb aber der Schlagzeuger, der freilich nur in Tan Duns Komposition auftrat. Verglichen mit dem athletischen Spiel des Schlagzeug-Kollegen Martin Grubinger, dem „Tears of Nature“ gewidmet ist, fällt Gerassimez durch eine noch höhere Klangsensibilität auf. Der Musiker ist ein Meister der Nuancen und Zwischentöne, kann aber auch virtuos und sportlich zur Sache gehen. Unterdessen muss Gerassimez ein Wunderkind gewesen sein. Im Pausengespräch mit einem seiner ersten Lehrer, dem Düsseldorfer Schlagzeuger Christian Roderburg, erfuhren wir, dass schon der zehnjährige Gerassimez mit Klöppeln umging, als habe er nie etwas anderes gemacht.