Stadt-Teilchen: Tankstellen-Nostalgie in Düsseldorf

Früher hatten Tankstellen etwas Magisches, den Hauch von Zukunft - heute symbolisieren sie Vergänglichkeit. Kolumnist Hans Hoff verabschiedet sich.

Stadt-Teilchen: Tankstellen-Nostalgie in Düsseldorf
Foto: Melanie Zanin

Düsseldorf. Um alles kümmern sich die Menschen, vor allem um das, was auszusterben droht. Ob Dialekte oder Vogelarten, für alles gibt es Kümmerer. Für fast alles. Manche Dinge finden einfach niemanden, der sich um sie sorgt. Das mag daran liegen, dass man sie einfach für selbstverständlich hält und glaubt, dass es nichts macht, wenn es weniger Exemplare von just dieser Art gibt.

(Hans Hoff)

Nur ich trauere ein bisschen. Auch nicht viel, aber jetzt, da es gerade mal wieder so offensichtlich ist, trübt es mein Sinnen doch ein wenig ein. Ich trauere um die gemeine Tankstelle im urbanen Raum. Diese Quellstätten der Mobilität verlieren zunehmend an Bedeutung. Immer weniger Menschen brauchen sie. Zuletzt hat es die freie Tankstelle an der Elisabethstraße getroffen und die Esso-Station an der Bachstraße. Beide sind nun seit geraumer Zeit Ruinen, fahle Schatten jener Zeit, da sie Energie im Überfluss spendeten all jenen, die mal eben zwischendurch ihren Tank günstig füllen wollten.

Vielleicht wird man irgendwann mal sagen, dass sie gerade noch rechtzeitig die Kurve gekratzt haben, bevor Fahrverbote die Innenstadt für Verbrennungsmotoren zur No-Go-Zone machten. Mit klarem Verstand gedacht führt halt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass die gemeine Tankstelle nun endgültig ihren letzten Weg angetreten hat.

Dabei ist die Vertreibung der Benzinzapferei aus der Nachbarschaft nichts Neues. Man muss nur einmal mit offenen Augen durch die Stadt fahren und darauf achten, wo noch diese geschwungenen Dächer auf zwei schmalen Pfeilern die architektonische Eleganz der mobilen Omnipotenz signalisieren, wo das Dach, das einst die Zapfenden beschützte, nun mehr oder minder nutzlos herumschwebt. An der Hammerstraße gibt es in Höhe Wupperstraße noch so ein schön in den neuen Nutzen integriertes Exemplar. Am Stresemannplatz ist auch solch ein Schwebedach zu sehen, aber es behütet nur eine ewige Baustelle. Man kann absehen, wann das Geschwungene hier der nüchternen Eckigkeit der zweckgebundenen Moderne Platz machen wird.

Zusätzlich gibt es Orte, die mal Tankstelle waren, denen man die einstige Nutzung aber nicht mehr ansieht. Da, wo heute in der Merowingerstraße Matratzen verkauft werden, konnte man früher mal tanken, bei Caltex, einer Benzinmarke, die hierzulande kaum noch einer kennt. Man fuhr damals tatsächlich mit dem Auto unter die Wohnungen und stopfte Energie in den Tank. Nach heutigen Sicherheitsmaßstäben sicherlich eine höchst gewagte Angelegenheit. Aber das ist lange her und erinnert an eine Zeit, da Tankstellen noch zum Tanken da waren und nicht Gemischtwarenläden oder kleineren Kaufhäusern ähnelten.

Da wurde man noch vom zugehörigen Werkstattchef persönlich bedient, und wenn die Zündkerzen streikten oder die Scheibenwischer schlapp machten, bekam man für ein paar Mark ein paar neue verpasst. Heute undenkbar, da die Kassen in der Regel von Aushilfskräften bedient werden. Und für Zündkerzen muss man inzwischen einen Werkstatttermin machen und zahlt dann, je nach Typ, schnell eine dreistellige Summe für den Blitz zur rechten Zeit.

Irgendwie hatte das in Zeiten des mobilen Aufbruchs noch eine gewisse Magie, weil sich viele kein Auto leisten konnten und sehnsuchtsvoll auf das Geschehen an der Tankstelle blickten, wo jene vorfuhren, die es schon besser hatten.

Heute fragt man sich, ob jene, die ein Auto haben, wirklich noch als Gewinner angesehen dürfen, ob sie wirklich besser dran sind oder nicht vielleicht einfach nur die nächste Verlierergruppe darstellen. Heute stinkt es an einer Tankstelle auch nur noch selten. Höchstens wenn man mal vergisst, die Dieselhandschuhe überzustreifen. Aber auch die werden sicher bald verboten, weil sie aus Plastik sind. Fragt sich, was eher kommt. Das Plastik- oder das Fahrverbot?

Es ist also bald vorbei mit der Magie. Bald werden Tankstellen nur noch eine schwache Erinnerung sein. Wer also eine innige Verbindung zu seinem Gefährt und den zugehörigen Auffüllstätten pflegt, der atme noch rasch ein paarmal den Duft von Diesel ein. Bald ist nichts mehr mit tanken. Dann fährt man irgendwo vor und tauscht den Akku aus. Profan, geruchsfrei, unromantisch.

Unbelehrbare Nostalgiker wie mich schreckt das. Zwar nur ein bisschen, aber das Leiden wird gemindert, wenn die Nacht kommt. Dann zieht es mich zum Licht, das die verbliebenen Tankstellen an der Peripherie immer noch ausstrahlen. Dann streife ich durch die Dunkelheit und suche den richtigen Abstand zu diesen illuminierten Orten der Sonderklasse, zu diesen Kathedralen des Lichts. Am liebsten nähere ich mich ihnen aus der Ferne. Es müssen Orte sein, die etwas von Einsamkeit haben, die rundherum Düsternis ausstrahlen, denn nur in der Düsternis kann die Erleuchtung richtig wirken. Das richtige Blau oder das richtige Gelb oder das richtige Rot in tiefschwarzer Nacht, das ist Faszination. Da möchte ich niederknien und einfach nur einsaugen, was mir die Natur bietet.

Nun gut, so richtig Natur ist es dann doch nicht. Eher etwas von Menschenhand Geschaffenes. Trotzdem mache ich mich gerne klein angesichts dieser schieren Größe. Ich mutiere dann zum kleinen Beter in einer riesigen Kathedrale, die meine Demut fördert und somit zu dem wird, was sie für Autos und Menschen sächsischer Zunge immer auch war: eine Dankstelle.