Stadt-Teilchen Wenn man unbedingt weg will, kann man sich ja mal an den Rhein setzen und auf Stille hoffen
Stadt-Teilchen Wenn man unbedingt weg will, kann man sich ja mal an den Rhein setzen und auf Stille hoffen
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Düsseldorf. Es gibt ja diese Tage, an denen man unbedingt weg will. Irgendwohin reisen, weit weg am besten, und schnell soll es gehen. Leider sind die Mehrzahl dieser Tage solche, an denen man nicht weg kann, darf, sollte. Dann verfällt man entweder in Melancholie oder macht sich auf zu einer kleinen Gedankenreise mit großer Dröhnkulisse. Ich packe mir dann mein Rad und fahre rechts am Rhein entlang Richtung Norden.
Ungefähr bei Rheinkilometer 750,5 setze ich mich auf eine Bank und genieße die Stille. Der Blick geht weit nach Westen, und ich höre den Wind rauschen und die Rheinschiffe tuckern. Manchmal sind die Schiffe auch schnell wieder weg, und dann ist einfach nur der Wind da. Und manchmal macht sich sogar der Wind aus dem Staub, legen sogar die in diesen Zeiten hyperaktiven Vögel kurz eine Singpause ein, und dann ist Stille. So richtig stille Stille. Stille mit nichts drin außer Stille.
Aber diese Stille währt immer nur kurz, denn in meinem Rücken braut sich etwas zusammen. Erst ganz leise, dann aber wird es rasch lauter. Es ist ein Dröhnen, ein Schleifen, ein Fauchen. Es wächst bedrohlich, es klingt nach Gefahr, es schwillt und schwillt, bevor sich all die Geräuschteile zu einer Kakophonie formen, die meine Gehörgänge zu Einflugschneisen für infernalische Lautstärke machen. Wenn der Lärm am größten ist, wächst es mir über den Kopf. Ein riesiges metallenes Ungetüm ist über mir. Ein Flugzeug, genauer gesagt, ein Airbus A 319-112. Auf dem Weg nach Warschau.
Die Maschine schießt hinweg nach Westen, und aus dem riesigen Drachen wird bald ein kleiner, der sich in eine Rechtskurve legt und länger zu sehen als zu hören ist. Plötzlich ist wieder das Tuckern zu vernehmen. Ein Frachter schiebt Container den Fluss hinauf. Er müht sich redlich, und das Mühen seiner Motoren klingt nach großem Kraftaufwand. Doch das Tuckern währt nur kurz. Wieder faucht es in meinem Rücken. Wieder formieren sich die krachenden Kräfte zur akustischen Drohkulisse.
Nur schwache Gemüter drehen sich um und schauen, was da kommt. Ich bin mutig, ich warte ab, was mir da gleich einen neuen Scheitel zu ziehen droht. Man muss halt schon ein bisschen was drauf haben hier in der Ausflugschneise, wo jetzt wieder solch eine riesige Blechdose über meinem Haupt schwebt. Es ist wieder ein Airbus, diesmal das Modell A 319 - 111. Es geht nach Mailand. Das sagt mir die App auf meinem Smartphone, die ich heimlich konsultiere. Ja, Italien könnte ich mir im Moment auch gut vorstellen. Einen Espresso bei einem schönen arroganten Espressomacher trinken und dann ein wenig schlendern in der Sonne, während daheim die Menschen mit der Wechselhaftigkeit des Wetters klarkommen müssen. Doch mein Italienausflug währt nur kurz.
Fast wirkt es, als jage dem kleinen Drache ein großer hinterher. Ein richtig großer. Wieder ein Airbus. Ein A 330 düst nach Los Angeles. Ich steige kurz ein, fliege mit in dem Ungetüm. Ich könnte ja mal kurz Thomas Gottschalk in Malibu besuchen. Aber während ich noch auf den Pazifik schaue und den spektakulären Sonnenuntergang genieße, saugt mich der Flieger nach Miami ein. Ich könnte ja in irgendeiner Klischee-Bar dort einen Cocktail schlürfen oder mit Donald Trump ein paar Runden Golf spielen und dem Mann mal zeigen, wo sein Handicap liegt. Bevor mir allerdings einfällt, dass ich noch nie Golf gespielt habe, zieht mich die Stille wieder zurück an den Rhein.
Ich genieße den leicht warmen Südwestwind und teste aus, wie weit mein Blick schweifen kann. Er kann sehr weit schweifen an diesem Tag. Ist ja alles Niederrhein, alles flach, alles Idylle. Aber dann ist wieder so ein fliegendes Stahlwerk über mir. Ächz, Stöhn, fauch, schleif. Eine Boeing auf dem Weg nach Abu Dhabi. Endlich mal eine Boeing. Ich dachte schon, das, was sie in Lohausen Flughafen nennen, sei nichts weiter als ein besserer Airbusbahnhof. Ist aber jetzt auch egal. Ab in die Wüste. Nach einer knappen Stunde habe ich genug.
Ich schwinge mich wieder aufs Rad und winke dem aktuellen Flieger nach. Ich schaue noch, wie er am Horizont zum winzigen Punkt wird und meine Tagträume mitnimmt. Ich harre aus, bis das Himmelblau endgültig den Punkt verschlingt. Das war es. Schluss mit dem kleinen Urlaub zwischendrin. Fliegen ist sehr anstrengend. Ich brauche eine Pause.
Ich kann ja wiederkommen. Wenn der Wind wieder günstig steht bei Stromkilometer 750,5, bin ich wieder da und reite erneut die silbernen Drachen. Das Abenteuer ist so nah, man muss es nur wahrnehmen.