Corona-Pandemie im Rhein-Kreis Neuss Firmen hoffen auf schnelles Ende der Krise
Rhein-Kreis. · Für das „Mittelstandsbarometer“ wurden 500 Betriebe im Kreis befragt. Die Negativ-Folgen von Corona sind drastisch.
„Sturzflug“, „historische Einbrüche“, „Corona-Tief“, welches Ausmaß die Folgen der Pandemie auf die Wirtschaft auch im Rhein-Kreis Neuss haben, wird in dem am Dienstag vorgestellten „Mittelstandsbarometer“, einem konjunkturellen Lagebericht von Rhein-Kreis, Sparkasse Neuss und Creditreform, schon in der Wortwahl deutlich. Nach Auswertung einer Umfrage bei 500 Unternehmen in den acht Kreis-Kommunen stürzt der regionale Geschäftsklima-Index von einem Boom-Wert von 135 auf 106 Punkte ab (-29 Punkte) und liegt damit nur noch knapp im grünen Bereich. Das ist der schlechteste Wert seit der Finanzkrise 2008/2009. Für den Index werden Auftragslage, Umsätze, Erträge und Personal in der Ist-Situation und mit Blick auf die kommenden sechs Monate ausgewertet.
Rund 10 300 Unternehmen – das ist mehr als die Hälfte aller Firmen im Kreis – sind, so die Studie, entweder „stark“ (27 Prozent) oder zumindest „gering“ (24 Prozent) von der Corona-Krise betroffen. Als größte Probleme werden Auftragsrückgänge, Absatzschwierigkeiten und behördliche Anordnungen benannt.
Jüchen und Neuss verlieren
im Index am stärksten
Differenziert betrachtet liegt der Geschäftsklimaindex bei den stark betroffenen Unternehmen sogar nur bei 88 Punkten und damit tief im roten Bereich. Die gering betroffenen Firmen kommen auf 109 Punkte, die gar nicht betroffenen Unternehmen auf immer noch sehr gute 121 Punkte. Fokussiert auf die einzelnen Kommunen zeigt sich ebenfalls ein differenziertes Bild: In Meerbusch, Kaarst, Grevenbroich und Dormagen ist das Konjunkturklima trotz starker Verluste weiter überdurchschnittlich. Jüchen und Neuss verlieren am stärksten. Jüchen rutscht im Index sogar unter 100 Punkte. „Die“ wirtschaftliche Lage gibt es derzeit also nicht.
Besonders getroffen hat die Pandemie nach den Erkenntnissen der Studie das Verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor, dort speziell Gastronomie, Veranstaltungsgewerbe und Tourismus. Das regionale Baugewerbe ist nach dem Mittelstandsbarometer hingegen weiter im Aufwind und zeigt sich von der Corona-Krise vergleichsweise wenig betroffen. André Becker, Geschäftsleitung Creditrefom Düsseldorf/Neuss, fasst es so zusammen: „Die Corona-Krise hat auch die Wirtschaft im Rhein-Kreis Neuss schwer erwischt – allerdings im mehrfacher Hinsicht weniger stark, als zu befürchten war.“ Nicht von der Krise belastete Unternehmen schätzten ihre Lage noch immer als sehr gut ein und die Prognosen für die Auftragslage sei sogar bei den Firmen, die von der Pandemie betroffen seien, noch gut.
Landrat Hans-Jürgen Petrauschke nimmt das als ein Indiz dafür, dass sich die Lage in den kommenden Monaten wieder bessern könnte. Die Studie unterstützt die Hoffnung, denn bereits während des Umfragezeitraums im Juni und Juli seien leicht verbesserte Werte registriert worden, so Chris Proios, Creditreform/Konjunkturforschung Regional. Petrauschke erkennt zudem eine Wirkung der staatlichen Hilfen für Unternehmen. Rund die Hälfte der Unternehmen im Kreis hat solche Unterstützung beantragt, 91 Prozent der Anträge wurden genehmigt. Rund 9500 Unternehmen erhielten danach Unterstützung.
Breiter Branchenmix und
ein starker Mittelstand
Am häufigsten wurde die „NRW Soforthilfe 2020“ beantragt. Vier von zehn Unternehmen im Kreis haben zudem Unterstützung ihrer Hausbank bei der Beantragung von Krediten durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau oder andere Hilfen zur Existenz- und Liquiditätssicherung in Anspruch genommen. Sparkassen-Vorstand Völker Gärtner nennt für sein Institut konkrete zahlen: 44,5 Millionen Euro an KfW-Krediten, sieben Millionen Euro eigene Förder-Kredite sowie ausgesetzte Kredit- und Tilgungsraten in Höhe von zehn Millionen Euro. Auch er sieht den Kreis in der Krise besser aufgestellt als viele Nachbarn. Hintergrund seien ein breiter Branchenmix und ein starker Mittelstand. Regionen, die in hohem Maße von der Großindustrie abhängig seien, gehe es deutlich schlechter. Das drückt sich auch in den Umfragewerten für den Wirtschaftsstandort Rhein-Kreis Neuss aus: 94 Prozent würden den Kreis als Standort weiterempfehlen, das sind – in Corona-Zeiten – drei Prozent mehr als im Vorjahr. Anlass zur Hoffnung machen, so Petrauschke, auch ein spürbarer Gründergeist sowie die deutlich sichtbaren Sprünge im Bereich der Digitalisierung: Unter dem Zwang der Krise hätten viele Unternehmen investiert und seien damit auf gutem Weg, auch international wieder wettbewerbsfähiger zu sein. Auch die Sparkasse Neuss hat, sagt Vorstand Carsten Proebster, einen „Digitalisierungsturbo“ gezündet. Das Geldinstitut sei damit auch in der Krise stets persönlich für die Kunden erreichbar gewesen und habe, digital unterstützt, etwa bei der Kreditvergabe für Geschäftskunden, schneller reagieren können. Mit Blick auf die voraussichtliche Dauer der Krise lassen sich die befragten Unternehmen in zwei Gruppen teilen: Die Optimisten (65 Prozent) sehen die Krise in sechs bis zwölf Monaten überwunden, die Pessimisten rechnen mit zwölf bis 36 oder sogar mehr Monaten. „Wie schnell es geht, haben wir alle ein Stück weit selbst in der Hand“, so Petrauschke. Entscheidend sei die Disziplin bei den Abstands- und Hygiene-Regeln. Je weniger Neuinfektionen, desto schneller sei die Wirtschaft wieder am Start. Dafür gibt es volle Unterstützung auch von Konjunkturforscher Rainer Bovelet: „Jeder Bürger hat die Aufgabe, den positiven Trend zu unterstützen und nicht zu gefährden. Ein zweiter Lockdown würde auch für die Wirtschaft im Rhein-Kreis schwere Folgen haben.“