Stadt-Teilchen Man muss die Menschen schützen vor der Welt
Düsseldorf. Die Stadt muss sicherer werden. Die Menschen müssen geschützt werden. Das Leben ist halt gefährlich. Die unschönen Gitter an den Düsselbrücken der Karolingerstraße sind nur der Anfang.
Dass die Anbringung weiterer Gitter jetzt kurzfristig gestoppt wurde, war ein Fehler. Es muss mehr getan werden. Die vom Rechtsamt haben mir die Augen geöffnet. Sie haben gesagt, dass man zwischen den bisherigen Gittern durchfallen könne, und deshalb müsse dort mit abschreckend hässlichen Anbauten verdichtet werden. Ich finde das richtig. Durchfall muss verhindert werden, wo immer es geht. Mit allen Mitteln. Auch wenn in der Karolingerstraße noch nie jemand von einer Düsselbrücke gefallen ist. Könnte ja passieren.
Meine Mutter konnte früher ein schönes Bild zeichnen von der Gefährlichkeit der Düssel an der Karolingerstraße. Ich habe da oft gespielt. Mit den Kumpels. Verwilderte Ufer, relativ flaches Gewässer, die Ratten, die Enten. Die Düssel, das war unser Großstadtdschungel. Wie oft bin ich pitschnass nach Hause gekommen, weil ich wagemutig versucht habe, die Düssel zu überqueren. Napoleon ist über den Rhein, Caesar über den Rubikon, ich bin über die Düssel. Das war halbwegs gefährlich, weil ich klein und die Düssel im Vergleich zu mir groß war. Nicht größer als heute, aber halt groß genug, um dem kleinen Hans die Hosenbeine ordentlich einzunässen und mich dank des Schlamms am Schuh schwer nach Abenteuer riechen zu lassen.
Ich wage mal die These, dass ein Düsseldorfer Junge erst ein Düsseldorfer Junge ist, wenn er mal ungewollt in der Düssel gelandet ist. Getauft mit Düsselwasser. Die Brücken haben uns dabei nie interessiert, die Geländer sowieso nicht. Die haben erst die vom Rechtsamt entdeckt. Recht so. Was geregelt werden kann, muss geregelt werden. Ich bin da im Alter vorsichtiger geworden. Kinder wissen eben nicht, wie gefährlich das Leben ist. Wie wahnsinnig ich einst war.
Ich mag mir gar nicht ausmalen, was wohl passiert, wenn irgendein Pokemon-Jäger auf einer Düsselbrücke eines dieser putzigen Monster entdeckt und dem dann in der handelsüblichen Besinnungslosigkeit nachjagt. Wenn das Monster dann noch zwischen den weiten Geländern durchschlüpft, muss der Jäger des digitalen Schatzes hinterher. Ist ja angeblich ein Bewegungsspiel. Letztens sind Pokemon-Jäger sogar auf einem Truppenübungsplatz gelandet, wo scharf geschossen wurde. Das haben sie aber erst festgestellt, als sie von Soldaten eingekreist waren und ihren Blick von den Displays ihrer Smartphones erhoben.
Man muss die Menschen schützen vor der Welt. Nicht nur die Pokemon-Jäger. Auch alle anderen. Die Verdichtung der Durchfall-Geländer kann da nur ein erster Schritt sein. Ich plädiere für weitere Maßnahmen und frage mich, warum die vom Rechtsamt noch nicht darauf gekommen sind, dass die Menschen auf den Bürgersteigen doch ständig neben hohen Häusern entlang gehen. Wie leicht kann da was runterfallen, ein Putzlappen, ein Blumentopf, ein Blatt vom nächststehenden Baum, was weiß ich. Das muss verhindert werden.
Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir die Bürgersteige überdachen. Schönheit hin, Schönheit her. Die Gefahr von oben darf nicht unterschätzt werden. Wenn da mal was passiert, kommt die Stadt in Teufels Küche. Nicht ohne Grund fürchteten die Wikinger nichts und niemanden, höchstens die Gefahr, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fallen könne. Mit überdachten Bürgersteigen wäre diese Gefahr gebannt.
Aber natürlich ist das mit der Überdachung sehr kurz gedacht. Im Rechtsamt kalkuliert man bereits die Gefahren, die von der Straße her drohen. Wie leicht kann jemand vom oft bis zu zehn Zentimeter hohen Bordstein auf die Straße stürzen? Und dann? Ratzfatz aus die Maus. Also müssen mindestens mannshohe und durchfallverhindernde Gitter her an den Bordsteinrand. Dann sind Fußgänger endlich wirklich sicher.
Aber halt, noch nicht ganz. Wenn der Bürgersteig erst eingehaust ist, muss für potentielle Paniksituationen vorgesorgt werden. Was, wenn mal viele Menschen unterwegs sind? Da müssen im Zehnmeterabstand Fluchttüren her, durch die Passanten auf die Straße ausweichen können. Natürlich ist auch das brandgefährlich, weshalb vor jeder Fluchttür eine Ampelanlage installiert werden muss, die den Autoverkehr stoppt, sobald die Fluchttür aufgeht. Man will ja im nächsten ADAC-Tunneltest nicht Letzter werden.
Auch für den Fall, dass in den Bürgersteigtunneln mal die Luft dick wird, weil es brennt oder irgendwer pupst, muss vorgesorgt werden. Automatisch fallen dann Sauerstoffmasken aus Öffnungen in der Decke. Man kennt das aus dem Flugzeug.
Dass die verdichteten Düsseldurchfallgitter nur ein Anfang sein können, ist jedem Chaostheoretiker sonnenklar. Was passieren kann, wird passieren. Das langfristige Ziel kann deshalb nur sein, dass die Düssel komplett abgedeckt wird. Zubetoniert. Für die Zwischenphase empfehle ich, Rettungsringe auf jeder Brücke anzubringen und unter den Brücken Rettungsboote bereitzuhalten. Man weiß ja nie. Es gibt schließlich immer weniger echte Düsseldorfer Jungs wie mich, und ich kann nicht überall sein.
Vorsorge ist wichtig, nicht nur an der Düssel. Man muss ständig wach sein und die Phantasie spielen lassen. Im Rechtsamt haben sie jetzt auch herausgefunden, dass insbesondere bei Touristen aus dem englischsprachigen Raum erhöhte Verletzungsgefahr besteht, wenn sie als klassische Umlautverweigerer das Wort Düsseldorf aussprechen müssen. Auch da könnten im Falle eines Vokalunfalls mit anschließendem Stimmbruch oder phonetischer Zungenverschlingung enorme Kosten auf die Stadt zukommen. Erst recht, wenn der Verunfallte ein Amerikaner ist. Man weiß doch, welche Summen Gerichte dort Menschen zusprechen, die nicht wussten, dass der von ihnen gekaufte Kaffee heiß sein könnte.
Vorgeschlagen wird von mir daher der Verzicht auf die Punkte über dem U oder die Einkreisung des Ü. Dusseldorf oder D(ü)sseldorf. Zusätzlich eine Warnung: „Achtung, kann zu oralen Komplikationen führen.“ Vorsicht ist eben die Mutter der Porzellankiste. Ich weiß das. Ich sollte eigentlich beim Rechtsamt arbeiten.