Nachruf Trauer um den Chronisten des Punk

Düsseldorf · Dass wir eine sehr gute Vorstellung davon haben, wie die Anfangstage des Punk in Düsseldorf aussahen, verdanken wir ar/gee Gleim. Nun ist der streitfreudige Fotograf, der noch im März das Buch „Geschichte wird gemacht: Deutscher Underground in den Achtzigern“ veröffentlicht hatte, gestorben.

„Es ist ein schönes Gefühl, Rentner zu sein“, sagte Richard Gleim. „Es fühlt sich genauso an wie der Punk — nur die Zeiten sind andere.“

Foto: Markus Luigs

Der Punk war die Rettung. Richard Gleim arbeitet Ende der Siebziger im mittleren Management eines Gartenbauunternehmens, mag diesen Job nicht besonders und findet in Frankfurt eine Alternative. Ein Kumpel nimmt ihn mit zu einem Festival, Gleim hat seine Kamera dabei und fotografiert die „neuen Wilden“. Die Abzüge schickt er dem Veranstalter, ohne dabei groß etwas zu hoffen. Doch plötzlich erhält er jede Menge Bestellungen. Das reicht, um den Job aufzugeben und als Fotograf anzufangen. Auch wenn er zu diesem Zeitpunkt lange Haare hat, einen Bart trägt und schon 38 ist.

Richard Gleim war auch die Rettung. Seine Bilder haben den Punk von damals in die Gegenwart gebracht und den Betrachtern einen eindringlichen Eindruck davon vermittelt, wie es damals zuging – frei von Mythen und unnötiger Sentimentalität. Die Fotos wurden zum Beispiel 2002 in der Kunsthalle in der Ausstellung „Zurück zum Beton“ präsentiert oder vor knapp zwei Jahren in „ZK und Die Toten Hosen – Die frühen Jahre 1980-1983“ im PostPost an der Erkrather Straße. Seit März sind sie in dem Buch „Geschichte wird gemacht: Deutscher Underground in den Achtzigern“ zu sehen. Unter oder neben den Fotos steht nicht Richard, sondern ar/gee. Diesen Namen hat Gleim aus der englischen Aussprache seiner Initialen entwickelt. In der Nacht zu Dienstag ist ar/gee mit Ende 70 gestorben.

Das Buch „Guter Abzug“ macht Gleim berühmt

Der Ratinger Hof und seine Stammbesetzung machen es ihm zunächst nicht leicht, dann aber lief es. Erst gut, dann zu gut. Ar/gee stellt einen Karton mit Abzügen auf die Theke des Ratinger Hofs, bestellt ein Bier und setzt diesen ironisch-unbeteiligten Blick auf, den sein Gesicht am liebsten trug. Die Leute fragen, ob sie mal gucken dürfen, fragen, ob sie etwas haben dürften und was die Abzüge denn kosten. Ar/gee tut so, als wäre er überrascht, dass jemand dafür bezahlen möchte. Mit den Fotos und dank Aufträgen für Magazine auch mit kreditwilligen Banken bringt Gleim 15 000 Euro zusammen und veröffentlicht im Selbstverlag das Buch mit de schönen Titel „Guter Abzug“. Für die letzte Kohle kopiert und verschickt er ein paar Zettel, um für sein Buch zu werben. Dann kriegt er ein Gefühl dafür, was es heißt, berühmt zu sein. Der „Rockpalast“ bespricht das Werk ausführlich, dann reißen die Bestellungen nicht mehr ab. Buchläden, Plattenläden, Kunstbuchläden, sie alle wollen es haben. Am Ende landet „Guter Abzug“ sogar auf der Documenta.m

Gleim hört ohne Ende Lob und erwischt sich dabei, dass er anfängt, zu glauben, er sei so super, wie die Leute sagen. Dafür ist er aber einfach nicht der Typ, er will wieder arbeiten. Er gründet eine Agentur und vermittelt Musiker, aber seine Ansprüche und die Erwartungen der Veranstalter machen das ganze zur Qual.

Die erwähnte Ausstellung in der Kunsthalle bringt ihn zurück zu seinen Fotos und hilft, die Rente aufzubessern. Mindestens jeden Monat meldet sich eine Zeitung, ein Magazin, ein Verlag und fragt, ob er nicht ein Bild von einem bestimmten Künstler aus der Zeit damals hat. Hat er eigentlich immer. Den ganz jungen Campino, den jungen Blixa Bargeld, den legendären Auftritt von DAF in der Philipshalle.

Richard Gleim wurde mit den Jahren langsamer, aber nicht weniger rege. Was er auf seinen Spaziergängen sah und wie er über diese bekloppte Welt dachte, teilte er im Internet mit den Menschen. Wenn Gleim sich über die Rheinbahn ärgert, ruft er dort an, die Erklärungen, die er erhält, stehen dann auch im Netz. „Es ist ein schönes Gefühl, Rentner zu sein“, sagt er. „Es fühlt sich genauso an wie der Punk — nur die Zeiten sind andere.“

Im Internet, vor allem auf Gleims Facebook-Seite, verabschiedeten sich am Dienstag viele und dankten für seine unvergesslichen Bilder. Ein Beitrag fasste wunderbar zusammen, wer und wie Gleim war: „Ach ar/gee, das geht doch nicht, einfach so sterben und nicht mehr da sein. Was haben wir früher schön gezankt, über Musik und das Leben, und irgendwann nicht mehr und dann haben wir uns auf Facebook wiedergefunden und als Allererstes hast Du mich angepampt, dass ich ins peinliche Berlin gezogen war, na toll, und das war wie früher, also damals, als alles möglich schien (außer Berlin, weil peinlich) und hab ich eigentlich jemals danke für die Fotos und die Geschichten und die Zankereien gesagt? Danke, Richard Gleim.“