Verborgene Geschichten in Lierenfeld

Die Arbeiterwohlfahrt zeigt bei einem Rundgang, welche Künstler im Stadtteil ihre Spuren hinterlassen haben.

Foto: Sergej Lepke

„Lierenfeld ist ziemlich unbeliebt. Viele bezeichnen es einfach als Teil von Flingern-Süd.“ Mit diesen nicht gerade vielversprechenden Worten begann die Kunstpädagogin Sophie Voets-Hahne gestern ihren Rundgang „Auf den Spuren von Pankok und den Toten Hosen“ durch eben jenen Stadtteil. Doch für sie war dieser erste Eindruck Grund genug, einmal genauer hinzuschauen.

Im Auftrag des Zentrums Plus Lierenfeld der Arbeiterwohlfahrt (Awo) lud sie zur Stadtteilführung ein, um die Kunst- und Kulturgeschichte des Viertels zu erzählen. Rund 15 Besucher aus verschiedenen Vierteln folgten der Einladung und trafen sich im Weltkunstzimmer an der Ronsdorfer Straße, der Grenze zwischen Flingern und Lierenfeld.

Das Weltkunstzimmer gehört zwar nicht zu Lierenfeld, doch dort zeigt sich, wie alte Industriestätten von Künstlern neue Bedeutung erhalten. Bis in die 70er Jahre befand sich die Backfabrik der Konsumgenossenschaft in den Hallen. Künstler verschiedener Disziplinen mieteten die daraufhin wegen Insolvenz leerstehenden Räume und schufen einen zentralen Schmelztiegel der Künstlerszene.

„Die Miete wurde damals teilweise in Kunstwerken bezahlt“, erzählte der bis heute im Weltkunstzimmer arbeitende Künstler Wolfgang Schäfer. Die meisten zogen aus dem immer schicker werdenden Hafen hierher. Eine Teilnehmerin, die heute 77-jährige Fotografin Renate Schmitz, erinnerte sich daran, dass sie selbst am Hafen arbeitete: „Ich wäre auch gerne mal hergezogen, hätte ich das damals mitbekommen.“

Auf der verkehrs- und lautstarken Königsberger Straße wurde die Führung interaktiver. Die Teilnehmer sollten die Augen schließen, um die Lautstärke des Verkehrs mal bewusst wahrzunehmen. Einer, der vor 60 Jahren das erste Mal in Lierenfeld war, erinnerte sich daran, wie viel lauter es früher noch war, als die Maschinen der Mannesmannwerke hier pausenlos stampften, um Stahlrohre zu produzieren. Während diese Gebäude heute nicht mehr stehen, sind die alten Farbwerke denkmalgeschützt und wurden zum Probeort für die Bürgerbühne umfunktioniert. Passend dazu sollten die Rundgangteilnehmer ein kleines „Gedicht“ vortragen, das sich am Ende jedoch als Songtext der Toten Hosen herausstellte. Denn auch „Jochens kleine Plattenfirma“, das Label der Band, hat auf dem Gelände seinen Sitz.

Zum Schluss wurde die heitere Stimmung getrübt, als es um das Engagement des Künstlers Otto Pankok in Lierenfeld ging. Er beschäftigte sich in der Zwischenkriegszeit mit den Sinti und wählte sie häufig als Motiv für seine Gemälde. Als rund 200 Sinti im KZ-Außenlager am Höherweg deportiert und ermordet wurden, erkannte Otto Pankok früh, dass auch sie Opfer eines Völkermordes wurden und entwarf das Denkmal „Ehra“, das heute am alten Hafen an die NS-Verbrechen an den Sinti und Roma erinnert. Viele Schüler Otto Pankoks engagierten sich noch nach dem Zweiten Weltkrieg für die Rechte der Sinti und Roma.

Auf der nur rund 300 Meter langen Tour verbargen sich viele Anekdoten und Überreste aus der lokalen Geschichte. Deshalb appellierte Voets-Hahne auch zu mehr Aufmerksamkeit im eigenen Stadtteil: „Achtet mal darauf, wo vor eurer Haustür noch alter Asphalt zu sehen ist, und welche Geschichten sich dahinter verbergen.“