Serie Der Zweck eines Vereins: Zu wenig oder zu viel ist der Tod
Düsseldorf · Viele Bürger engagieren sich, um ihren Verein lebendig zu halten und nach vorne zu bringen. Wer wachsen will, muss eine moderne Strategie verfolgen. Unsere Serie gibt Tipps dazu. Folge 1: Vereinszweck.
In Deutschland sind rund 600 000 Vereine aktiv. Bürgerrechtsaktivisten, Heimatfreunde, Sport-, Musik- und Selbsthilfegruppen beleben das Land. Selbst Lernen kann man in einem Verein: Debattieren, die Rede, Fremdsprachen, segeln oder fliegen. Es ist kaum ein Zweck denkbar, der sich nicht durch einen Verein organisieren lässt.
Es gibt viele Symptome an denen man sehen kann, dass die Gruppe stagniert: Austritte oder natürliche Überalterung und Ausdünnung wie zum Beispiel bei manchen Service-Klubs der Rotarier. Auch zu starke Aktivitäten außerhalb der Kernaufgabe nutzen nicht immer dem Verein. Viele Sportvereine helfen Flüchtlingen, um ihnen die Integration zu erleichtern und ihnen mehr Freude in den Alltag zu bringen. Ehrenwert. Doch wenn das schleichend zum neuen Fokus wird sind auch neue Schwierigkeiten programmiert. Einige Mitglieder machen mit, andere nicht, weil sie eigentlich etwas anderes im Verein verwirklichen wollten. Nämlich den Grund, warum sie eingetreten sind.
Wer einen Verein neu gründet oder neu führt, sollte sich stark mit dem Zweck des Klubs beschäftigen. Ein Verein ist in erster Linie keine Rechts-, sondern eine Zweckgemeinschaft. Der Zweck hat zentrale Bedeutung für den Verein und sollte nicht nur bezüglich Vereinsrecht oder gar Gemeinnützigkeit formuliert werden. Das Los des Zwecks ist es, präzise sein zu müssen. Zwecklos ist es, wenn der Zweck nicht stimmt. Denn dann stimmt auch alles andere nicht. Der Zweck definiert das System, aus dem sich alle Sachfragen beantworten: Die der Aufgaben, der Organisation, aber auch die des Marketing, des Vertriebes und der Öffentlichkeitsarbeit.
Dabei hilft es, nicht nur einen thematischen Gegenstand wie „Tischtennis“, „Frauenförderung“ oder „Debattieren“ zu formulieren, sondern auch das einzelne Mitglied und seine Motivation aufzunehmen. Beispielhaft: „Zweck des Vereins ist es, jedes einzelne Mitglied darin zu fördern, die Debattier-Kunst zu lernen und sich darin persönlich zu verbessern.“ Es geht also nicht um die Gruppe, sondern um das individuelle Mitglied. Man nennt diesen Fokus Mitgliederzentrierung statt Themenzentrierung.
Die Umsetzung dieses Zwecks, den gewünschten, individuellen Mitgliedernutzen herzustellen, wird in einem zweiten Satz festgelegt. „Der Satzungszweck wird verwirklicht insbesondere durch bedarfsgerechte Mentorenprogramme, ein Debattentreffen, an denen frei vorgetragene faire und unfaire Debattentechniken, wertschätzendes Feedback in einem sozialen, multikulturellem Lernumfeld und auf Grundlage von Lernmaterial und Erfahrungsaustausch geübt wird. Zudem werden eigene Anlässe für öffentliche Debatten für die Mitglieder geschaffen.“ Damit sind nicht nur der Zweck sondern auch die Umsetzungsaufgaben im Kern beschrieben.
Jede Diskussion des Präsidiums ergibt sich daraus, jede Entscheidung muss sich davor spiegeln lassen. Die alte, früher solide Verbindung zwischen Tun und Haften, zwischen Führung und Verantwortung kann modern und strategisch auf dieser Basis in jedem Verein hergestellt werden. Der Zweck heiligt nicht die Mittel, sondern definiert sie. Jetzt lässt sich präzise ausdiskutieren, was man wissen muss:
1. Wissen, was man will: „Wir sind der Lehr-Debattierklub für jedermann und jede Situation“
2. Wissen, was man nicht will: „Wir wollen keine Spezialisierung auf die politische Debatte“
3. Wissen, welche Innovationen angestrebt werden: „Wir nutzen zum Beispiel die Möglichkeit zu nationalen und internationalen Live-Debatten über Skype zu Übungszwecken “
4. Wissen, in welcher Zeit was erfüllt sein soll: Wir überprüfen die Fortschritte unserer Mitglieder pro Vereinsjahr durch Selbstauskunft
5. Wissen, wie man mit Dritten umgehen soll: Wir suchen aktiv Kooperationspartner im Softwarebereich, die uns bei Debatten-Apps für unsere Mitglieder helfen
Zweck des Vereins ist es, jedes einzelne Mitglied und nicht die utopische Gesellschaft als Ganzes mit der angebotenen Vereinsleistung zufrieden zu stellen und den gewünschten Nutzen durch Einsatz von Vereinsressourcen herzustellen. Formulier den Vereinszweck nicht zu groß - aber auch nicht zu kleinkariert. Auf Pepita lässt sich kein Schach spielen.
Ein Beispiel für eine erfolgreiche Vereins-Geschichte: Der Post-Sportverein Gerresheim.
Hermann Mölck musste sich durch mehrere Akten im Keller arbeiten. Nun hält er die Ur-Satzung seines Vereins in den Händen: Bis ins Jahr 1925 reicht die Geschichte des Post-Sportvereins in Gerresheim zurück. In den Jahren hat sich viel verändert, die Herausforderungen sind heute andere. Eine davon: die Mitgliederwerbung. „Um uns dauerhaft das Überleben zu sichern, müssen wir uns um die Jugend kümmern“, sagt der Vereinsvorsitzende.
Der Zweck des am 15. Februar 1925 gegründeten Vereins gilt bis heute: „Zweck des Vereins ist die Pflege und Förderung aller Leibesübungen“. Der Zusatz „Politik und Religion dürfen in allen Zusammenkünften nicht berührt werden“ ist für Mölck aber heute nicht mehr zu erfüllen. „Politik und Religion sind immer wieder Themen, die angesprochen werden, und der Verein muss dabei deutlich Stellung beziehen“, sagt er. Der Verein sei offen für Menschen jeglicher Herkunft und aller Glaubensrichtungen und das werde auch in den alltäglichen Gesprächen thematisiert. So weiche die heutige Satzung des Post-Sportvereins auch in einem weiteren Punkt von der Ursprungssatzung ab: „Bei seiner Gründung richtete sich der Verein ausschließlich an Betriebsangehörige der Deutschen Post. Nur sie und deren Angehörige konnten Mitglied werden“, sagt Mölck. Heute gibt es diese Einschränkung auf einen Personenkreis nicht mehr. „Die Gemeinnützigkeit verspricht heute, dass ein Verein für alle Bevölkerungsgruppen, für alle politischen Richtungen offen ist“, sagt er.
In den vergangenen Jahren hat sich im Verein auch das Sportangebot verändert. „Wir haben uns auf Abteilungen reduziert, in denen wir leistungsstark sind und neue Mitglieder gewinnen“, sagt Mölck. Volleyball, Badminton und Gymnastik seien Sportarten, die künftig wohl aufgegeben werden müssen. „Wir konzentrieren uns dauerhaft auf Tennis, Fußball, Judo, Sportschießen und Leichtathletik Jugend.“ Um diese Abteilungen langfristig zu sichern, sei Mitgliederwerbung unerlässlich. Rund 1100 Mitglieder zählt der Verein aktuell, 55 Prozent der Mitglieder sind Jugendliche.
Um neue Mitglieder zu gewinnen, geht der Verein auf umliegende Kitas und Schulen zu, bietet Probestunden in den Schulen an und lädt benachbarte Kindergruppen ein, auf dem Sportplatz unter Anleitung Tennis zu spielen. Nachwuchs für die Sportarten zu gewinnen sei wichtig, um die Abteilungen langfristig zu sichern. Denn eines müsse man sich bewusst machen: „Eines Tages wechselt der Tennisspieler zum Golf über und verlässt unseren Verein“, sagt er.