Wie man auch ohne Abitur zum Chefkurator wird
Manfred Huisgen ist ein Selfmademan. Er schwört auf Praxis und weniger auf Theorie. Studenten lernen bei ihm, wie sie eines Tages ohne einen Restaurator auskommen.
Düsseldorf. „Mir ist fast peinlich, was für eine Biografie ich habe“, sagt Manfred Huisgen, Jahrgang 1937, und schießt los: „Für die höhere Schule hatten meine Eltern kein Geld. Ich habe nur Volksschulabschluss und bin über die Lehre als Leistenvergolder aufgestiegen.“ Ein Mann der Praxis, ohne höhere Bildung, ohne Hochschulstudium. Dennoch ein Retter in mancher Not, wenn die Künste Schiffbruch erleiden. Der ehemalige Chefrestaurator der Kunstsammlung unterrichtet weit über das Rentenalter hinaus unterm Dach der Kunstakademie. Jeden Freitag im Semester steht er den Studenten mit Rat, Tat und unendlich viel Humor zur Seite. Für einen bloßen Stundenlohn als Lehrbeauftragter. Werkstattleiterin ist Kirstin Lampert, die an den übrigen Wochentagen Dienst hat. Der Job beruht auf Gegenseitigkeit. Er kann es nicht lassen, und die Kunstakademie will von ihm nicht lassen.
Er stammt aus einer Zeit, wo man sich noch emporarbeiten musste, wo die Begabung und nicht das Zeugnis zählte. Vom Leistenvergolder über den Rahmenvergolder zum Restaurator und stellvertretender Leiter des Restaurierungszentrums ist er aufgestiegen, bis der Gründungsdirektor der Kunstsammlung, Werner Schmalenbach, ihn abwarb, übrigens auf Empfehlung des Malers Konrad Klapheck.
(Es gab auch kleinere Katastrophen: Auf einmal fehlte der Popo eines Gerhard-Richter-Gemäldes - und wurde eben neu gemalt. Foto: Stefan Ahrendt)
Immer war auch der Zufall mit im Spiel. So schneite Huisgen eines Tages bei dem inzwischen verstorbenen Heinz Althöfer im Kunstmuseum herein. Der meinte, Huisgen sei zu etwas Höherem berufen, er sei ein Naturtalent, und engagierte ihn 1970. Im Restaurierungszentrum am Ehrenhof arbeitete er sich zum stellvertretenden Abteilungsleiter empor.
1977 machte er Schlagzeilen mit dem Rubens-Bild „Erzherzog Albrecht von Österreich“, dessen Gesicht von einem Säureanschlag fast weggefressen und buchstäblich aufgelöst war. Niemand glaubte, dass diese Leihgabe der Baronin von Bentinck-Thyssen an das Kunstmuseum noch zu retten war. Nach einem Jahr und sieben Monaten wurde das Gemälde als geheilt entlassen.
Huisgen erzählt: „Wir haben das Bild nach dem Attentat flach auf den Boden gelegt und mit gemahlenem, ungebranntem Naturgips bestreut. Das war der Löschblatteffekt. Die Schwefelsäure zog in das Pulver.“
Er bekomme noch heute Schüttelfrost, wenn er an den Totalschaden denke. Mit Wattestäbchen und Terpentin sei er einige Wochen später gucken gegangen. Und siehe da, der Mund kam heraus, und letztlich das ganze Gesicht. Huisgen weiß seitdem: „Das Gesicht war in Bleiweiß gemalt, das ist stabiler als Erdfarben. Das war unser Glück. Und Glück muss man immer haben als Restaurator.“
Seitdem nahm er jeden Hilferuf an. Schnelligkeit war seine Stärke, wenn etwa das Lehmbruck-Museum rief, weil einige hundert Liter Wasser ausliefen, die Tür zum Magazin eindrückten und die Kirchners und Beckmanns im Wasser standen.
Aber es gab nicht nur Katastrophen, sondern auch freudige Ereignisse. So wurde nach der Auflösung des „Creemchease“-Lokals das große Bild von Gerhard Richter mit dem liegenden Mädchen abgebaut und im Kunstmuseum gelagert. Huisgen erzählt: „Auf einmal war der Popo vom Mädchen weg. Wir haben Richter angerufen, aber der sagte nur: ’Macht mal’. Also haben wir von einem talentierten Japaner den Popo neu malen lassen. Als alles fertig war, tauchte der echte Popo wieder auf.“
Huisgen ist eine Allzweckwaffe. So restaurierte er die Zwickelbilder in der Tonhalle und auf Wunsch von Rektor Markus Lüpertz die Deckengemälde von Peter Jansen in der Aula der Kunstakademie. Nach der Restaurierung der alten Gemälde wurden sie mit dem Flaschenzug unters Dach gezogen, nachdem sich der Restaurator zuvor auf dem Dach nach den Balken erkundigt hatte. Sie waren dick und gut geeignet, um lange Schrauben zu bohren. „Ich steige immer aufs Dach, um zu prüfen, ob die Balken halten“, sagt er.
Warum er denn mit 81 Jahren noch nicht aufhöre, seine Erfahrungen weiterzugeben? Die Antwort ist typisch für ihn: „Ich unterrichte ja nicht das Fach Restaurieren, sondern ich will den jungen Leuten beibringen, wie sie vorgehen müssen, damit sie keinen Restaurator brauchen.“