Zauber des Dresdner Amens

Die Düsseldorfer Symphoniker spielen neben einer Uraufführung Wagners Parsifal-Vorspiel und Mendelssohns Reformations-Symphonie.

Foto: Jan Roloff

„Im Alter wird die Hure fromm“, sagt der Volksmund. Draufgänger Richard Wagner, der in jüngeren Jahren gerne Kritik am Christentum — insbesondere am Katholizismus — äußerte, komponierte mit seinem letzten Opus, dem Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ ein tief religiöses Musikdrama. Darin zitiert er eine Choralphrase aus dem 18. Jahrhundert, die in der Katholischen Hofkirche Dresden als Antwort des Chores im Rahmen von Messen gesungen wurde. „Dresdner Amen“ nennt sich die Passage. Jahre vorher hat schon Felix Mendelssohn Bartholdy im 1. Satz seiner Reformations-Symphonie das „Dresdner Amen“ zitiert. Nun erklingen beide Musiken, das Parsifal-Vorspiel und die Mendelssohn-Symphonie beim Sternzeichen-Konzert der Düsseldorfer Symphoniker in der Tonhalle.

Der Konzert-Zyklus steht diesmal allerdings unter keinem so günstigen Stern. Chefdirigent Alexandre Bloch muss krankheitsbedingt passen, für ihn springt ein Gastdirigent ein, der Franzose Joseph Bastian. Der frühere Bassposaunist beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hat sich vor einiger Zeit aufs Dirigieren verlegt. Er kann dies durchaus versiert, doch so ganz vom Stuhl reißt seine Gestaltungskunst nicht.

Bastian setzt nüchtern auf klare Strukturen ohne viel Geheimniskrämerei. Das tat auch einst Pierre Boulez, und insofern befindet sich Bastian mit der kühlen Herangehensweise in keiner schlechten Gesellschaft. Und einem sich sehr langsam entwickelnden Stück wie dem Parsifal-Vorspiel tut die Straffung auch ganz gut. Allerdings gehen auf dem Weg Feinheiten verloren, und dann beginnt diese eigentliche weihevolle Musik zu verblassen, ja sie verliert an Verständlichkeit.

Ähnlich gerafft ist das Tempo in der Reformations-Symphonie. Das belebt zwar den Musikfluss und stabilisiert die rhythmische Konsistenz, doch gerade der weihevolle Anfang mit dem dreimaligen Dresdner Amen und der Beginn des Finalsatzes über den Luther-Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ baut sich atmosphärisch nicht vollständig auf. Es gibt Momente, die brauchen Zeit. Doch die lässt Bastian ihnen leider nicht. An den vielen beschwingten Stellen geht das gestalterische Konzept wiederum auf.

Am Freitag gab es auch eine audiovisuelle Uraufführung: „Absent Illusions“ heißt das Stück für Violine, Viola und Orchester des schwedischen Komponisten und Filmers Fredrik Högberg (geboren 1971). Das Auftragswerk der Düsseldorfer Symphoniker in Kooperation dreier weiterer Orchester, die das Opus ebenfalls für sich bestellt haben, ist inspiriert von den mythischen Musen auf dem Berg Helikon. Gemeinsam mit der Künstlerin Carolin Strindlund hat Högberg den dazugehörigen Film entwickelt, der synästhetisch zur Musik gezeigt wird. Action painting heißt die zugrundeliegende Trickfilmtechnik. Kugelförmige Objekte und menschliche Gesichter werden hier mit dickflüssiger Farbe oder Sirup übergossen. Der Musik komponierte Högberg für die Geigerin Isabelle van Keulen, die am Freitagabend brillant die Violin- und Bratschen-Soli meisterte. Ihre Passagen sind auch das musikalisch attraktivste an dem Werk, das ansonsten etwas beliebig daherkommt. Manche Passagen klingen nach hymnischer Filmmusik, ansonsten bedient sich Högberg aus dem großen Baukasten der jüngeren Musikgeschichte. Das Werk dauert gut 25 Minuten, in denen die Spannung zerfließt wie die Ölfarben im Film. In den insgesamt freundlichen Beifall mischte sich ein hartnäckiges Buh für den anwesenden Komponisten.