Lage vor Ort Gangelt und der Wettlauf gegen das Coronavirus

Gangelt/Heinsberg · Im Westen Nordrhein-Westfalens gibt es einen Wettlauf gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Gangelt ist nicht Köln oder Düsseldorf. Hier scheint die Lage überschaubarer.

 Ein Plakat lädt am Eingang im Ortsteil Langbroich zur Karnevalsveranstaltung "Kappensitzung".

Ein Plakat lädt am Eingang im Ortsteil Langbroich zur Karnevalsveranstaltung "Kappensitzung".

Foto: dpa/Henning Kaiser

Es scheint wie Alltag an einem regnerischen Februartag: In Cafés sitzen einige Gäste. Die Geschäfte sind geöffnet. Aber hinter den Fassaden wird deutlich, dass die Vorsichtsmaßnahmen vor dem Coronavirus tief in den Alltag der 12.500 Einwohner zählenden Gemeinde Gangelt an der deutsch-niederländischen Grenze eingreifen. In einem Supermarkt stehen im Nudelregal nur noch wenige Packungen und eine Kassiererin meint, dass deutlich mehr gekauft werde als sonst üblich.

Es ist Tag zwei nach dem ersten Coronavirus-Nachweis in NRW. Mittlerweile leben nach Angaben des Kreises Heinsberg von Donnerstag rund 400 Menschen in häuslicher Quarantäne. Schulen und Kindergärten im Kreis sind vorerst geschlossen, auch alle Kreisbehörden und Gerichte sind für den Publikumsverkehr dicht.

Gangelt und der Kreis Heinsberg sind ländlich geprägt, nicht vergleichbar mit Ballungsgebieten. Aber was wäre, wenn das Virus in Düsseldorf, Köln, Essen oder Münster nachgewiesen würde? Der Bürgermeister von Gangelt, Bernhard Tholen (CDU), steht bei einem Telefonat am Donnerstag noch hörbar unter dem Eindruck der Ereignisse.

In kürzester Zeit hat das Virus in seiner Gemeinde eine beachtliche Dramatik entfaltet: Am 15. Februar feiern 300 Jecken bei der Kappensitzung des Karnevalsvereins „Langbröker Dicke Flaa“. Die Stimmung sei gut gewesen, erinnert sich Präsident Wilfried Gossen. Dass der kleine Verein nun plötzlich überregional als eine mögliche Coronavirus-Quelle gelte, sei natürlich nicht schön. „Aber es ist nun mal so, wir können ja nichts daran ändern“, sagt Gossen.

Unter den Feiernden ist der 47-jährige Mann, bei dem das Virus zum ersten Mal in NRW nachgewiesen wird. Außerdem seine Ehefrau. Beide werden in der Uniklinik Düsseldorf behandelt. Der Zustand des 47-Jährigen Mannes ist den Angaben nach weiterhin ernst. Nach dem Nachweis der Infektion geht es darum, rasch Kontaktpersonen und damit potenzielle Virusträger festzustellen und zu isolieren. Die 300 Jecken der Kappensitzung sind aufgerufen, sich beim Kreis zu melden. Sie und ihre Familien werden noch am Mittwoch unter häusliche Quarantäne gestellt.

Ebenso die Kinder und das Personal des Kindergartens, in dem die ebenfalls infizierte Ehefrau arbeitet. Die Quarantänezeit beträgt in der Regel 14 Tage. In dieser Zeit müssten sich bei einer Infektion Symptome bemerkbar machen. Noch am Donnerstag sollten 65 bis 70 Kinder der Einrichtung sowie deren Eltern auf das neuartige Coronavirus getestet werden.

Die Quarantäne-Maßnahmen führen in der Gemeindeverwaltung zu einem Personalengpass, wie Bürgermeister Tholen schildert: „Die Maßnahmen ziehen natürlich Kreise. Das führt jetzt dazu, dass sich drei Löscheinheiten der Feuerwehr abmelden mussten.“ Vier Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung, die bei der Kappensitzung mit dabei waren, mussten zuhause bleiben, „die aber bis gestern noch kerngesund gearbeitet hatten“, betont der Gemeindechef. 20 von 40 Mitarbeitern fehlten, inclusive ein paar Urlaubern. „So wird das natürlich immer schwieriger, den Betrieb aufrecht zu erhalten und den Menschen zu helfen“ - Menschen, die erst einmal nicht mehr raus dürfen.

Freunde, Verwandte, Nachbarn - grundsätzlich sei das auf dem Land nicht schwer, Helfer zu finden, die für die isolierten Menschen einkaufen gingen, sagt Kreis-Sprecher Ulrich Hollwitz. Im Notfall würden Organisationen wie das Deutsche Rote Kreuz einspringen. In Gangelt hat der Bürgermeister aber einfach auch ein paar Händler angerufen mit der Bitte, den Lieferservice auszuweiten. Aber: „Wenn das so weitergeht, dann wären wir bald so weit, dass wir alle unter Quarantäne stehen“, sagt er.

Den vier Neuinfizierten geht es den Umständen entsprechend gut, verkündet der Heinsberger Landrat Stephan Pusch (CDU) am Donnerstagnachmittag. Endlich eine gute Nachricht. Am Morgen hat er das infizierte Ehepaar vor Social-Media-Debatten in Schutz nehmen müssen: „Sie verdienen unser Mitgefühl, nicht Vorwürfe.“ Jeden „von uns“ hätte es treffen können. „Wer von uns hätte auf fest gebuchte Karnevalsveranstaltungen verzichtet, weil er etwas erkältet ist?“, fragte Pusch in einer Facebook-Videobotschaft.

(dpa)