Schulen Psychische und physische Gewalt an Schulen

DÜSSELDORF · Repräsentative Befragung von 1300 Schulleitungen zeigt bedrückende Ergebnisse.

Eine Lehrerin einer achten Klasse. Gewalt gegen Lehrkräfte ist in Deutschland einer Umfrage zufolge „an der Tagesordnung“

Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Würden Sie den Beruf des Schulleiters weiterempfehlen? Auf diese Frage antworteten vor vier Jahren noch mehr als 80 Prozent der befragten Schulleiter in Nordrhein-Westfalen mit „auf jeden Fall/wahrscheinlich“. Vier Jahre später sind es nur noch 52 Prozent. Stefan Behlau, Landesvorsitzender der Lehrergewerkschaft Bildung und Erziehung (VBE) nennt diese Zahl mit gemischten Gefühlen.  Will er doch angesichts der Notlage, dass Schulleiterposten oftmals schwer zu besetzen sind, nicht noch mehr potenzielle Direktorinnen und Direktoren abschrecken. Noch mehr gilt dieser Zwiespalt für die anderen erschreckenden Zahlen, die in einer repräsentativen Forsa-Umfrage unter 1300 Schulleitungen stecken. Zahlen, die das Zeug haben, Menschen davon abzuhalten, überhaupt den Lehrerberuf zu ergreifen.

NRW-Schulen schneiden besonders schlecht ab

Denn Hauptthema der von Behlau und dem VBE-Bundesvorsitzenden Udo Beckmann am Freitag in Düsseldorf vorgestellten Schulleiterbefragung war das Thema „Gewalt an Schulen“. Beckmann zitiert aus der Befragung: „An bundesweit 20 000 Schulen gab es in den letzten fünf Jahren Fälle psychischer Gewalt, Lehrkräfte an gut 10 000 Schulen wurden in den letzten fünf Jahren Opfer von Mobbing über das Internet.“ Und an gut 10 000 Schulen seien Lehrkräfte innerhalb der letzten fünf Jahre körperlich angegriffen worden.  „An jedem Schultag der letzten fünf Jahre kam es an mindestens 20 Schulen in Deutschland zu Fällen psychischer Gewalt gegen Lehrkräfte oder Schulleitungen“, sagt Beckmann.

An NRW-Schulen sei das Problem besonders schlimm, ergänzt der VBE-Landesvorsitzende Stefan Behlau. Beim Thema Gewalt an Schulen belege das Land in der Schulleitungsumfrage bundesweit den negativen ersten Platz. Behlau: „An dreiviertel der Schulen kam es in den vergangenen Jahren zu psychischer Gewalt, in fast der Hälfte der Schulen zu körperlicher Gewalt.“ Auch durch Eltern, die beispielsweise mit der Notengebung nicht einverstanden waren.

Wie aber kommt es zu der starken Gewaltbereitschaft? Beckmann analysiert dies so: „Besonders die Umsetzung der Hygienemaßnahmen zur Reduzierung des Infektionsrisikos in der Corona-Pandemie haben die Schulen vor große Herausforderungen gestellt. Intransparente Maßnahmen, die von der Politik oftmals erst am Wochenende kommuniziert wurden, mussten ab Wochenbeginn umgesetzt sein. Teilweise kam es sogar dazu, dass Schulleitungen aus den Medien davon erfuhren.“

Obwohl weder Schulleitungen noch Lehrkräfte die Verantwortung für politische Entscheidungen trügen, habe sich der gesellschaftliche Unmut über die Maßnahmen am pädagogischen Personal entladen. So kam es an elf Prozent der betrachteten Schulen zu Gewalt in direktem Zusammenhang mit der Umsetzung von Hygienemaßnahmen. Ausgeübt durch Eltern, Schüler, aber auch Lehrerkollegen. Und sogar Außenstehende ohne Bezug zur Schule waren unter den Tätern. Beckmann erklärt: „Insbesondere in der Pandemiezeit waren dies Personen, die den sogenannten Querdenkern zuzuordnen sind. Und die sich vor Schulen aufgestellt oder soziale Medien genutzt haben, um Lehrkräfte zu beschimpfen, weil diese die politisch vorgeschriebenen Maßnahmen umsetzten.“

Für Landeschef Behlau ist das größte Problem an den Schulen der Lehrkräftemangel. Immer mehr Aufgaben müssten mit einem bereits überlasteten Team erledigt werden. „Wenn die Menschen, die jetzt noch das System am Laufen halten, wegbrechen, dann potenziert sich die Dramatik des Mangels“, warnt der Gewerkschafter. Neben Lehrkräften fehlten auch pädagogische Fachkräfte zur Entlastung der Kollegen. Hinzu komme, dass Lehrkräfte für den IT-Support eingesetzt werden müssen, obwohl sie an anderer Stelle deutlich dringender gebraucht würden.

Bei der Frage nach den größten Problemfeldern nannten die Schulleiterinnen und Schulleiter diese Rangfolge: Lehrkräftemangel (69 Prozent), Arbeitsbelastung, Zeitmangel (34 Prozent), Inklusion und Integration (28 Prozent) Ausstattung/Digitalisierung (23 Prozent) Gebäude (14 Prozent) Verhalten der Schüler (7 Prozent)  allgemeine Verhaltensauffälligkeiten von Schülern (6 Prozent),  Überforderung der Schüler, Lernwille (3 Prozent), Disziplin (2 Prozent).

Die Leistungen der Schulpolitik in ihrem jeweiligen Bundesland bewerteten die Schulleitungen im Schnitt mit der Schulnote 4,4. „Versetzung in Gefahr“, sagt der VBE-Bundesvorsitzende Beckmann dazu. Und es zeigt sich ja auch immer wieder, dass Unzufriedenheit mit der Schulpolitik bei Landtagswahlen wahlentscheidend sein kann. Die Performance des Schulministeriums  zieht die eigene Partei mit in den Abgrund. Bei den NRW-Wahlen in diesem Jahr traf es eine FDP-Ministerin, bei der Wahl davor eine grüne Ministerin und ihre jeweilige Partei. Derzeit sitzt übrigens eine CDU-Frau in Düsseldorfer Schulministerium. Beckmann jedenfalls mahnt: „Mit Bildung steht und fällt die Demokratie. Die Schule legt den Grundstein für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn, ermöglicht damit die aktive Teilnahme an unserer demokratischen Gesellschaft.“