Das sagen Experten zum Vorstoß Gratis-Ticket für die Jugend in NRW würde 1 Milliarde Euro kosten
Düsseldorf · Die SPD will den ÖPNV landesweit kostenfrei für unter 18-Jährige machen. Die CDU sagt: Der muss erst mal besser werden.
Um die Verkehrswende anzukurbeln, möchte die SPD in Nordrhein-Westfalen den Nahverkehr für Kinder und Jugendliche komplett kostenfrei machen. Am Mittwoch wurden im Verkehrsausschuss des Landtags dazu Experten gehört. Das Fazit: Eigentlich finden es alle gut – aber wer soll das bezahlen?
Denn nach einer Berechnung des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) in NRW würde das Gratis-Ticket eine Milliarde pro Jahr extra kosten – 1,8 Milliarden gibt das Land für den ÖPNV bereits aus. José Luis Castrillo vom Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) äußert in der Diskussion zudem Zweifel, wie viele junge Menschen zusätzlich so den Weg in Bus und Bahn fänden: Der Marktanteil liege hier schon bei 80 Prozent. „Das haben wir in keinem anderen Segement.“
Und schon jetzt zeigten sich die Schattenseiten der guten Marktdurchdringung: in zu Stoßzeiten völlig überfüllten Fahrzeugen. Da seien die Kapazitäten am Limit. Den Verkehrsunternehmen müssten also nicht nur die Mindereinnahmen durch das Gratis-Jugendticket ausgeglichen werden, zudem fielen Investitionen in die Infrastruktur an. Denn, so gibt Joachim Künzel vom Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) zu bedenken, man wolle ja wohl nicht, dass die kostenlos fahrenden Jugendlichen allmorgendliches Gequetsche mit dem ÖPNV verbinden: Das wäre „keine Werbung fürs System“.
Die Frage aller Fragen wirft Bodo Middeldorf, Abgeordneter der FDP, auf: Was ist denn nun wichtiger – ein attraktiver Nahverkehr oder ein günstiger? „Warum muss da ein Oder zwischenstehen“, fragt Sophie Halley von der Landesschülervertretung zurück. Ihre Botschaft ist klar: Die Jugend im Land fordert von der Politik beides und begründet es mit sozialer Gerechtigkeit. Mobilität sei gleichbedeutend mit Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und wer sich heute einen bezuschussten Tarif wie etwa das Schokoticket im VRR nicht leisten könne, der sei abgehängt.
Genau so sieht es der Landesjugendring, gibt aber zu bedenken: Zur Gerechtigkeit gehört dann auch, dass Nahverkehr überall verfügbar sein muss. Es gebe die Rückmeldung aus der Jugend des Gewerkschaftsbundes, wonach das NRW-weite Azubiticket bislang allein in den Ballungsräumen stark nachgefragt sei, weil es auf dem Land schlicht keine ÖPNV-Anbindung gebe. Heißt: Der niedrigste Preis bringt nichts, wenn das Angebot nicht stimmt. Zur Frage der Gerechtigkeit wirft Volker Wente vom VDV noch ein, dass eine stärkere Suventionierung finanzschwächerer Familien in diesem Bereich sehr wohl sinnvoll wäre, um jedem Mobilität zu ermöglichen: „Aber diejenigen, die es sich leisten können, brauchen Teilhabe nicht auf Steuerzahlerkosten.“
Klaus Voussem, verkehrspolitischer Sprecher der CDU, hält den SPD-Antrag für einen „interessanten Diskussionsbeitrag“. Doch, nachdem er nunmehr gelernt habe, der „ÖPNV für lau“ würde eine Milliarde Euro kosten, halte er den Vorstoß für „realistisch kaum umsetzbar“. Man werde zunächst daran arbeiten, das Angebot auszubauen, den Nahverkehr „zuerst attraktiv und dann günstig“ zu machen, erklärt er nach der Anhörung. Carsten Löcker von der SPD ist das zu wenig. „Es klingt nach: weiter so – aus betriebswirtschaftlichen Gründen.“ Natürlich müsse ein Angebot wie das Gratisticket für Kinder und Jugendliche finanziert werden, doch für ihn sind die Hinweise auf eine Priorität der Attraktivierung „alles Ablenkungsmanöver“, erklärt der Sozialdemokrat.