Holocaust-Gedenkstunde im Landtag Erinnerung im Herzen der Enkel
Düsseldorf · Als 13-Jähriger wurde der Düsseldorfer Günter Wolff deportiert. Als 91-Jähriger prägt er die Gedenkfeier für die Opfer des Holocaust in NRW – ohne selbst zu sprechen.
Vier Tage war sein 13. Geburtstag gerade her, da musste Günter Wolff mit seinen beiden Eltern Eduard und Hanna die Wohnung in der Düsseldorfer Immermannstraße verlassen und sich auf den Weg zum Schlachthof machen – Sammelpunkt für die Deportation. Von dort führte der Weg im Oktober 1941 erst in das Getto von Łódź und drei Jahre später nach Auschwitz. Jetzt, mit 91 Jahren, sitzt Gary Wolff, wie er sich inzwischen nennt, im Düsseldorfer Landtag und hält die Hände seiner beiden in den USA geborenen Enkel.
Ja, das Gedenken an die Opfer des Holocaust am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz ist ein Ritual. „Aber es ist kein leeres Ritual“, sagt Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden. „Es ist ein Ritual, das wir jedes Jahr mit Inhalt füllen, mit dem aktiven Einsatz für unsere Demokratie.“ Und der Inhalt, mit dem sich die Düsseldorfer Veranstaltung einreiht in die weltweite Erinnerungsarbeit dieser Tage, ist ein besonders zukunftsweisender – und hoffnungsvoller.
Die Enkel erzählen aus dem Leben ihres Opas
Von Jahr zu Jahr wird die Sorge vernehmbarer, wie eine Erinnerungsarbeit an den Zivilisationsbruch der Judenvernichtung möglich sein wird, wenn die letzten Zeitzeugen gestorben sind. Noch setzen sich viele von ihnen trotz ihres mittlerweile hohen Alters wieder und wieder der Mühe aus, in Schulen oder auf Veranstaltungen von ihrer Geschichte zu erzählen. Auch Gary Wolff hat nicht nur den weitesten Weg aller Gäste auf sich genommen, „sondern auch einen sehr schweren Weg“, wie es Landtagspräsident André Kuper formuliert. Aber in der Gedenkstunde ergreift dann nicht Wolff selbst das Wort. Es sind seine Enkel, die auf bewegende Weise das Leben ihres Opas ausbreiten. Die Geschichte seines Überlebens und des dabei erlittenen Unrechts ist in ihren Herzen bewahrt und gesichert über seine Lebenszeit hinaus.
Im Wechsel zeichnen Danielle (27) und Julian Wolff (25) die Stationen der fortschreitenden Diskriminierung nach, die vielen Momente der Todesgefahr und die oft unglaublichen Momente der Wendung, denen sie beide es verdanken, dass es sie heute als Nachfahren eines Holcaust-Überlebenden gibt. Zum Beispiel den Tag im September 1942, als Günter Wolff von seinem Vater wieder von dem Lkw heruntergeholt werden konnte, der Kinder und Jugendliche aus dem Getto in den sicheren Tod bringen sollte. Der Vater hatte seine Auszeichnung aus dem Ersten Weltkrieg in die Waagschale geworfen und damit den Offizier hinter dem Steuer überzeugen können. Vor der eigenen Ermordung hat ihn dieser Beweis seines Nationalstolzes zwei Jahre später in Auschwitz aber nicht bewahrt.
Wer heute die Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte in der Mühlenstraße besucht, stößt am Ende der Dauerausstellung auch auf Auszüge eines Interviews, das die Einrichtung schon vor Jahren mit Gary Wolff geführt hatte. Dieser besonderen Verbindung ist es auch zu verdanken, dass Wolff bereit war, für die Gedenkstunde noch einmal in seine Geburtsstadt anzureisen. Und zu den ergreifendsten Momenten zählt es, als gegen Ende der Rede seiner Enkel deutlich wird, welche Spuren seine Erzählungen in der übernächsten Generation hinterlassen haben: Danielle haben die Geschichten ihres Opas dazu bewegt, heute als Anwältin für die Rechte von Immigranten zu kämpfen, ihr jüngerer Bruder setzt sich als Staats- und Verwaltungswissenschaftler für eine funktionierende demokratische Gesellschaft ein.
Als zuletzt Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) ans Rednerpult tritt, scheint ihm angesichts dieser eindrucksvollen Bereitschaft zur Versöhnung und Zukunftsverantwortung sein vorbereitetes Redemanuskript nur noch bedingt tauglich. Er bekennt sich vehement zum staatlichen Schutz für jüdisches Leben in Deutschland, aber bekräftigt ebenso vehement: „Eigentlich ist das schon ein Skandal, dass überhaupt eine jüdische Einrichtung geschützt werden muss.“
Es dürfe nicht passieren, „dass Juden nur als Opfer vorkommen“, hatte Abraham Lehrer zuvor gewarnt. Jüdisches Leben in Deutschland definiert sich nicht allein durch die Zeit zwischen 1933 und 1945 und auch nicht durch den Kampf gegen den aktuellen Antisemitismus. Es teilt eine 1700-jährige Geschichte mit diesem Land. Das ist dann in diesem Jahr nicht nur Anlass des Gedenkens. Es ist auch Anlass zum Feiern.