Kaldenkirchen „Ich packe genauso zu wie die Männer“
Kaldenkirchen · Heide Endemann führt die Nettetaler Polizei. Als sie vor 30 Jahren in ihrem Job anfing, war der Polizeidienst noch eine Männerdomäne. Der bodenständigen, tatkräftigen Frau war das egal.
„Wenn Ihr Beruf eine Berufung ist, dann passt das“, das ist Heidi Endemanns Grundsatz. Sie brennt für ihren Beruf. Vor genau 30 Jahren begann sie ihre Ausbildung an der Polizeifachhochschule, seit 27 ist sie als Polizistin bei der Kreispolizei Viersen tätig, seit dem 1. März 2024 neue Chefin die Polizeiwache Nettetal mit Sitz in Kaldenkirchen. Die genaue Bezeichnung: Leiterin des Schwerpunktdienstes und der angeschlossenen Bezirksdienste. Als Regionalbeauftragte ist sie zudem direkte Ansprechpartnerin für die Gemeinden Brüggen, Nettetal und Niederkrüchten.
Etwas anderes als den Beruf der Polizistin ist Heidi Endemann nie in den Sinn gekommen. Warum das so ist, kann sie gar nicht erklären. Keine Polizisten in der Familie, keine besonderen Vorkommnisse mit der Polizei, die wegweisend hätten sein können. Klar, „man kannte den Dorfsheriff, der war die Autorität“. Freund und Helfer zu sein, der Gedanke gefiel ihr. „Der Beruf war mein Kindheitstraum“, sagt sie.
Die 50-Jährige ist in Geldern geboren und in Issum aufgewachsen. „Ich hatte keinen Plan B, die Ausbildung an der damaligen Fachhochschule in Duisburg musste klappen“, erinnert sich Endemann. Und sie klappte. Drei Jahre lang lernte Endemann Eingriffstechniken, hatte Sicherheits- und Schießtraining und zahlreiche weitere Unterrichtsfächer, dann war die Ausbildung abgeschlossen und sie durfte sich „Diplomverwaltungswirtin“ nennen.
Polizistin zu sein, sagt Endemann, ist „kein Job wie jeder andere“. Man wird Zeuge von Extremsituationen, man verbringt sehr viel Zeit mit den Kollegen und Kolleginnen, ist aufeinander angewiesen. „Gefährliche Situationen schweißen zusammen“, weiß Endemann. Und dann kommt ihr Grundsatz wieder zur Sprache: „Wenn man dafür brennt, dann schafft man auch das.“ Allerdings nicht ohne Achtsamkeit für die eigene Situation.
Heute sind gut 40 Prozent aller Polizisten weiblich. Erst 1985 gab es die erste gleichgestellte Frau in Uniform bei der NRW-Polizei. Damit gehört die 1994 ausgebildete Heidi Endemann noch zu den Vorreiterinnen in der männlichen Welt der Polizei. Da sie als Abiturientin den Seiteneinstieg in den gehobenen Dienst nehmen konnte - das war 1994 erstmals möglich - hatte sie nach ihrer Ausbildung schnell Männer in der Hierarchie unter sich. Für Heidi Endemann überhaupt kein Thema. „Man braucht einen Stand“, sagt sie, und den hat sie. Und: „Man muss Mensch bleiben.“ Polizeiarbeit sei Teamleistung, da könnte man als Einzelne nicht mit dem Kopf durch die Wand. „Ich habe mich immer wohl gefühlt.“ Und akzeptiert wurde sie eh. Denn: „Ich schrecke vor nichts zurück und packe genauso zu wie die Männer.“
So wirkt Heidi Endemann auch: bodenständig und tatkräftig. Sie treibt in der wenigen Freizeit, die ihr Beruf ihr lässt, (zu selten) Sport, fährt Motorrad, taucht gerne und macht Campingurlaub. Endemann ist verheiratet und lebt mit Mann und zwei erwachsenen Patchwork-Söhnen sowie einem leiblichen Sohn in Straelen.
Seit dem 1. März trägt sie wieder Uniform – was ihr wichtig ist, auch wenn sie in ihrer neuen Funktion zu selten „auf die Straße“ kommt. Viel Verwaltungsarbeit wartet auf sie, das Abarbeiten von Telefonaten und E-Mails – aber immer ist der Bezug zu den momentan 27 Kolleginnen und Kollegen gegeben. Und der ist ihr wichtig.
Apropos Uniform: Uniform zu tragen findet Heidi Endemann grundsätzlich gut, auch, dass Frauen die identische Kleidung tragen wie die Männer. Kleider machen Leute, sagt sie. Studien hätten gezeigt, dass eine adrette Kleidung für ein anderes Ansehen sorge. Nur eine Einschränkung macht sie lachend: „Wer zieht denn noch Krawatten an?“ Als sie vor 27 Jahren ihren Dienst aufnahm, gab es noch Röcke für die Polizistinnen. Aber sie kann sich kaum noch erinnern, wann sie ihn trug – im Einsatz jedenfalls war er wenig praktisch.
Heidi Endemann hat in ihren 27 Dienstjahren viele Stationen durchlaufen. Sie war im Wachdienst in Kempen, in der zivilen Einsatztruppe und der Führungsstelle der Direktion Gefahrenabwehr/Einsatz. Von dort wechselte sie im Jahr 2017 in das Amt der Gleichstellungsbeauftragten. „Ich hatte viele Ideen“, sagt Endemann. Sie organisierte Seminare und Vorträge für die Kollegen und Kolleginnen, in denen Fragen zu Elternzeit, Teilzeitarbeit, Selbstmarketing für Frauen und andere behandelt wurden. Sie verfasste einen Ratgeber für werdenden Eltern. Die Arbeit als Gleichstellungsbeauftragte gewährte ihr eine andere Perspektive auf ihren Job. Und noch etwas veränderte ihre Perspektive, allerdings die auf das Leben. Sie hat in ihren ungezählten Einsätzen tödliche Unfälle erlebt, hat Todesnachrichten überbringen müssen. Das habe ihr bewusst gemacht, wie wichtig es sei, „nie im Streit auseinanderzugehen, denn es könnte immer das letzte Mal sein, dass man einander sieht.“
Polizisten und Polizistinnen bevölkern das Vor- und Abendprogramm der Fernsehsender. Ja, antwortet Endemann auf die Frage, ob sie die Sendungen gelegentlich schaue. „Das ist leichte Kost“, von der man sich berieseln lassen könne. „Sie hat aber nichts mit der Realität zu tun.“