Justiz im digitalen Neuland Zeitalter der elektronischen Gerichtsakte hat begonnen

Düsseldorf · Computer statt Aktenbock: Die drei NRW-Finanzgerichte üben sich in Pionierarbeit.

Akten stapeln sich auf einem Richtertisch. Dieses vertraute Bild soll bald der Vergangenheit angehören.

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Justizangestellte schieben Aktenböcke durch die Flure – dieses Bild gehört zu unserer Vorstellung, die wir von Gerichten haben. Doch in den drei nordrhein-westfälischen Finanzgerichten (Düsseldorf, Köln, Münster) haben diese Aktenböcke nun ausgedient. Jedenfalls weitgehend. Stolz verkündete am Dienstag Harald Junker, Präsident des Finanzgerichts Düsseldorf, dass der Gerichtszweig, für den er zuständig ist, „Pionierarbeit“ leiste. Die Finanzgerichte, deren Aufgabe es ist, den Bürgern Rechtsschutz gegen Steuerbescheide oder auch bei Kindergeldangelegenheiten zu gewähren, sind damit Vorbild für alle 226 NRW-Gerichte der anderen Gerichtszweige, wie etwa der Zivil- oder Strafgerichte. Diese müssen bis spätestens 2026 nachziehen.

Finanzämter spielen das digitale Spiel noch nicht mit

NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) stellte bei einem Festakt im Finanzgericht Düsseldorf zufrieden fest, dass dieser Gerichtszweig die Umstellung schon sieben Jahre früher bewerkstelligt hat. Die Finanzrichter, so wünscht er sich, sollten bei ihren Richterkollegen für die damit mögliche Arbeitserleichterung werben. Doch ganz so reibungslos läuft die Sache nicht einmal bei den Finanzgerichten. Denn es braucht schließlich auch „Mitspieler“: diejenigen, die sich vor Gericht als Kläger und Beklagte gegenüberstehen. Insbesondere Steuerberater auf der einen und Finanzämter auf der anderen Seite. Da sei es hinderlich, wenn zwar die Finanzgerichte die elektronische Akte einführen, die Finanzverwaltung aber „nur trantüddelig hinterherkommt“, wie es Biesenbach formulierte. Was er damit meint: Die Finanzämter führen ihre Steuerakten weiter auf Papier, und damit müssen dann auch die Finanzgerichte arbeiten. Sie selbst führen zwar die Akte digital, in der sich das Pro und Kontra der Verfahrensbeteiligten und die gerichtlichen Verfügungen ansammeln. Gleichzeitig müssen sie aber auch noch auf die papierenen Steuerakten zurückgreifen.

So könnte der Gerichtssaal aussehen – Bildschirme ersetzen Papiertürme.

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Dabei werde durch die Einführung der elektronischen Akte die Effektivität der Justiz gesteigert, so wirbt jedenfalls Biesenbach. Können Richter und Gerichtsmitarbeiter gleichzeitig auf die Akte zugreifen, gebe es keine Zeiten mehr, in denen die Akten nicht verfügbar sind, weil sie sich gerade bei einem anderen Bearbeiter befinden.

Aber wie funktioniert das ganz praktisch: In der Serviceinheit des Gerichts geht ein elektronischer Schriftsatz ein. Das Öffnen eines Briefes entfällt. Anhand des Aktenzeichens steht sofort fest, welcher elektronischen Akte der Schriftsatz zugeordnet wird. Der Servicemitarbeiter fügt das neue Dokument hinzu. Wie bei der guten alten Papierakte erscheint oben rechts die entsprechende Seitenzahl. Geht das Schreiben per Brief ein, so wird es in die elektronische Akte eingescannt. Kommt es per Fax, wird es als PDF-Datei der elektronischen Akte hinzugefügt. Die so aktualisierte elektronische Akte wird dann an den zuständigen Richter verschickt, erscheint in seinem elektronischen „Arbeitskorb“. Er entscheidet dann, was nun zu geschehen hat, erlässt etwa eine Verfügung. Und schickt die Akte per Mausklick wieder an die Serviceeinheit, die den Vorgang weiter bearbeitet, etwa an die Prozessbeteiligten versendet.

Was bei einer Papierakte die kleinen gelben Klebezettelchen am Seitenrand zum Auffinden wichtiger Stellen sind, können bei der elektronischen Akte digitale Lesezeichen sein. Mit Suchbegriffen lassen sich Fundstellen in den Akten aufsuchen. Die Richter haben mobile Computer, mit denen sie auch von außerhalb des Gerichts arbeiten können. Die schöne neue Justizwelt sieht dann so aus, dass die Sitzungssäle mit Monitoren ausgestattet sind, auf denen aufgerufene Dokumente für die Prozessbeteiligten sichtbar werden.

All das erscheine nicht in der Internet-Cloud, sondern es handle es sich um ein geschlossenes System der Justiz, sagt Biesenbach. Er gehe davon aus, dass kein Hacker Zugriff auf die Akten habe. Auch rechne er nicht damit, dass durch die Digitalisierung Arbeitsplätze verloren gingen. Die Finanzgerichte sind zwar Vorreiter, aber es laufen bereits Pilotprojekte an zwei Oberlandesgerichten, sowie an Land- und Amtsgerichten. Das Vorangehen der Finanzgerichte soll nun, so die Hoffnung des Ministers, Initialzündung auch für andere Gerichte sein.