Präsentation in Krefeld Prähistorische Seekuh lebte in Ratingen
Ratingen/Krefeld. · Die Knochen des Tieres wurden in einer Baugrube entdeckt. Sie wurden nun untersucht.
Eine archäologische Sensation ist gestern im Zentrum des Geologischen Dienstes NRW in Krefeld präsentiert worden: Anfang des Jahres waren in einer Baugrube in Ratingen Knochen einer Seekuh gefunden worden. „Es handelte sich dabei um einen Zufallsfund. Das ist durchaus üblich. Wir haben uns dann mit dem Unternehmen Köster, das die Bauarbeiten ausführte, zusammengetan und drei Tonnen Material gesammelt. Hier hat uns das Unternehmen sehr geholfen und sogar das Gerät zur Verfügung gestellt, das Material zu bergen“, berichtet Erich Claßen, der Leiter des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege im Rheinland.
In den vergangenen Monaten wurde dieses Material dann genauestens untersucht. „Bis heute haben wir rund 600 Kilogramm durchgeschlämmt und untersucht. Dabei haben wir Millionen Fundstücke von Muscheln, Schnecken, Zähne von Haien und Rochen bis hin zu versteinerten Korallen gemacht“, erzählt Christoph Hartkopf-Fröder, Paläontologe beim Geologischen Dienst NRW. Doch ein großer, wichtiger Fund fehlt noch: ein Zahn der Seekuh.
„Wir wissen bislang noch recht wenig über Seekühe. Es ist eine Gruppe, die bislang vergleichsweise wenig erforscht ist, und wir haben noch große Lücken in unserem Wissen. Wie gehen die Arten ineinander über, wie haben sie sich ausgebreitet? Hier könnte der Fund wichtige Hinweise liefern. Im besten Falle haben wir es mit einer ganz neuen Art zu tun“, erläutert Oliver Hampe, der hinzugezogene Spezialist für fossile Meeressäuger am Museum für Naturkunde in Berlin. Allerdings sind die bisher gefundenen Fragmente nicht ausreichend, um die Art genau zu spezifizieren. „Die Rippen der verschiedenen Seekuh-Arten unterscheiden sich kaum. Sie sind in ihrer Funktion gleich und extrem dick, da sie dem Tier ein höheres Gewicht verleihen sollen, um dem Auftrieb durch Fettgewebe und Luft in den Lungen entgegen zu wirken. Die Bestimmung der Art ist fast nur über Schädelknochen oder Zähne möglich“, sagt er. Entsprechend groß ist die Hoffnung, dass sich in den verbleibenden vier Fünfteln des gesicherten Materials noch zumindest ein Zahn der Seekuh findet.
„Bei Säugetieren, zumal Meeressäugern, reicht ein einziger Zahn meist zur Bestimmung aus“, erklärt der Experte. Die Hoffnung, noch einen ganzen Schädel zu finden, ist da. Zwar ist dies für das bislang geborgene Material praktisch ausgeschlossen, aber im unmittelbaren Umfeld der aktuellen Fundstätte sind in den kommenden Monaten und Jahren noch mehrere weitere große Bauprojekte geplant. Dass der Schädel nicht bei den Knochen lag, erklärt sich durch den Tod des Meeressäugers. „Wir gehen davon aus, dass das Tier starb und auf den Meeresgrund im flachen Küstenmeer, seinem Lebensraum, sank. Dort wurde es dann von Haien und ähnlichen Raubtieren gefressen und die Knochen verstreut“, erläutert Hampe.
Der Fund könnte dabei aber nicht nur für das Wissen über prähistorische Seekühe – das nun gefundene Exemplar lebte vor rund 28 Millionen Jahren – wichtig sein: „Wir können hier möglicherweise ein ganzes marines Ökosystem rekonstruieren und lernen viel darüber, wie es hier im Oligozän aussah. Es handelte sich um ein flaches, warmes Meer, nah am Ufer. Die Seekuh lebte vermutlich nahe am Strand, wie auch heutige Seekühe das zumeist tun“, erklärt Hampe. In der Rekonstruktion entschieden sich die Experten für einen Gabelschwanz, ähnlich, wie ihn die Dugongs in Südostasien haben. „Das ist aber mehr ein Gefühl. Wir haben keinen Abdruck oder etwas in der Art. Das Tier könnte auch einen Rundschwanz wie Manatees gehabt haben“, sagt der Experte.