Interview Arbeitsagentur-Chef setzt auf Flüchtlinge

Der Neue an der Spitze der Arbeitsagentur sucht Auswege aus der Facharbeiter-Krise.

Foto: D. Jochmann

Krefeld. In zehn Jahren werden in Krefeld rund 8800 Menschen mit 65 Jahren in die Rente wechseln. Schon jetzt ist abzusehen, dass auf dem hiesigen Arbeitsmarkt überproportional viele Facharbeiter fehlen werden. Die WZ sprach mit dem neuen Chef der Arbeitsagentur, Dirk Strangfeld, über die Auswirkungen der Rente ab 63 für langjährige Beschäftigte und die Chancen, die sich auf dem Arbeitsmarkt für neue Gruppen wie Flüchtlinge oder Menschen mit Handicap auftun.

Ist die Rente ab 63 — ohne Abschläge bei 45 Beitragsjahren — für den Arbeitsmarkt ein Problem?

Dirk Strangfeld: Das muss man aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Menschen, die das nutzen, haben oftmals eine körperlich anstrengende Arbeit geleistet. Wenn die mit 63 in Rente gehen, ist das durchaus nachzuvollziehen. Es gibt aber auch noch eine markt- und volkswirtschaftliche Betrachtung. Allein bis Mai 2015 sind 320 000 Anträge auf vorgezogenen Ruhestand eingegangen. Das ist eine ordentliche Zahl.

Mit welchen Folgen für die Betriebe?

Strangfeld: Die Zahl der älteren Arbeitnehmer nimmt somit ab. Im Hinblick auf deren Fachlichkeit und Wissen ist das für Unternehmen ein Verlust. Gerade in Krefeld gibt es eine Facharbeiter-Kohorte im Industriebereich, die eine Lücke hinterlässt. Die ist in Krefeld überproportional hoch.

Woran liegt das?

Strangfeld: Das liegt an den gewachsenen Strukturen hier. Krefeld hat lange Zeit viele Arbeitsplätze beispielsweise im Chemiebereich und im Maschinenbau gehabt. Durch Firmenschließungen oder -verlagerungen ist nicht mehr in dem Umfang ausgebildet worden wie früher. Dadurch gibt es kaum Nachwuchs.

Wie reagieren die Betriebe auf den zunehmenden Facharbeitermangel?

Strangfeld: Sehr unterschiedlich. Einige arbeiten gezielt daran, Nachwuchskräfte zu gewinnen; andere strukturieren ihre Betriebe und Arbeitsabläufe um. Wieder andere versuchen, ihre Arbeitnehmer über den Eintritt des Rentenalters hinaus, zu halten. Und rund zehn Prozent aller Firmen machen garnichts.

In wieweit kann die Arbeitsagentur den Firmen bei der Suche nach geeigneten Fachkräften helfen?

Strangfeld: Wir können eine Menge tun. Wir haben beispielsweise tolle Programme, um Beschäftigte in den Betrieben weiter zu qualifizieren. Ein neues, weitreichendes Angebot ist unsere Arbeitsmarktberatung für Unternehmen. Um vorab schon zu sehen, was kommt bei dieser Entwicklung in Zukunft auf die Betriebe zu.

Wird das Angebot genutzt?

Strangfeld: Noch nicht in dem Maße, wie gewünscht. Es ist noch ein frisches Angebot.

Wie wollen Sie dem Fachkräftemangel entgegenwirken?

Strangfeld: Das Ziel ist es, die Erwerbsquote weiter zu erhöhen. In dem wir beispielsweise Wiedereinsteiger nach einer Familienpause ansprechen, wie aber auch die Gruppe der Flüchtlinge und der Menschen mit einer Behinderung. Dabei geht es nicht mehr nur um den Begriff der Teilhabe am Leben, sondern vielmehr darum, wie man sie dauerhaft in den ersten Arbeitsmarkt integrieren kann.

An wen denken Sie bei der Gruppe der Flüchtlinge?

Strangfeld: Vor allem an die derzeit aus Syrien, Iran oder Afghanistan zu uns Kommenden, von denen viele gut ausgebildet sind. Sie haben aber oftmals keine Bescheinigungen darüber oder die Papiere werden hier nicht anerkannt. Die Frage ist, wie können wir ihr Potenzial in unserer Gesellschaft und in unserem Land nutzen?

Welche Voraussetzungen sind dafür notwendig?

Strangfeld: Ein wesentlicher Aspekt sind zunächst Sprachkenntnisse, um sich überhaupt verständigen zu können. Sprachförderung muss deshalb sichergestellt werden ebenso wie eine Bleiberechtsgarantie.