WZ-Rubrik Blick nach Venlo: Der Klassenprimus beim Thema Nachhaltigkeit und Innovation
Venlos Bürgermeister Antoine Scholten über Nachhaltigkeit, die Region und Kooperation. Wir schauen regelmäßig auf die Nachbarn.
Krefeld. Das Büro von Antoine Scholten ist spartanisch eingerichtet. Unbehandelter Holzschreibtisch, Sitzecke. Immerhin, Scholten hat ein eigenes Büro. Als einer der ganz wenigen in Venlos ultramodernem, nachhaltigem Stadthaus. Er ist der Bürgermeister. Ansonsten funktioniert die Venloer Verwaltung nach dem Open Office-Prinzip. Bei den Themen Innovation und Nachhaltigkeit fällt immer wieder der Name Venlo.
Stickstoffarme Kitas, Elektrobusse im ÖPNV, Logistik-Riese. Krefelds Partnerstadt, die Region und eben auch Krefeld wachsen in diesen Tagen immer enger zusammen, lernen voneinander. Die WZ wird diese Entwicklungen unter der Rubrik „Blick nach Venlo“ ab sofort regelmäßig durch Berichte und Meinungen aus Venlo und der Grenzregion begleiten und darstellen. Im Wirtschaftsraum zwischen Krefeld und Noord-Limburg steckt ein riesiges Potenzial. Im WZ-Interview spricht Venlos Bürgermeister Scholten über die Rolle als Klassenprimus, Kooperationspläne mit Krefeld und dem Niederrhein und darüber, warum Venloer sich mehr als Rheinländer denn als Niederländer fühlen.
Herr Scholten, Venlo ist sowas wie Klassenbester in der Grenzregion, auch in den Niederlanden schauen viele Kommunen auf Venlo. Warum ist das so?
Antoine Scholten: Wenn andere Venlo als Klassenbester einstufen, wird die Stadt von ihnen als ein bedeutsamer Partner wahrgenommen. Das ist für unsere Bürgerinnen und Bürger und für die hier ansässigen Unternehmen wichtig. Es ist offensichtlich, dass wir eine klare Sicht, ein Leitbild für die Zukunft haben. Eine solche Perspektive ist notwendig, denn die Welt ändert sich in einem rasanten Tempo. Da erwartet man von uns als Verantwortungsträger der Stadt immer eine passende Reaktion. Wir haben uns ganz bewusst für junge Menschen und für eine zirkuläre Wirtschaft entschieden. Das Eine ohne das Andere ist nicht machbar: Es handelt sich ja schließlich um unsere Zukunft. Es ist die Wahl für eine gesunde oder für eine ungesunde Zukunft. Wir haben uns für die gesunde Zukunft entschieden. Das ist unser Punkt am Horizont, unser Leitbild. Übrigens möchten wir gerne in einer guten Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn am Niederrhein daran arbeiten. Und darin kommen wir uns immer näher.
Venlo ist Nachhaltigkeitshauptstadt. Wie kommen Sie zu dieser Ehre, und wie wird das Thema „Nachhaltigkeit“ im Alltag gelebt, wo ist es zu erleben?
Scholten: Nachhaltigkeit ist ein Thema für die gesamte Stadt und nicht nur ein Thema für die Verantwortungsträger in der Politik. Die Stadtverwaltung hat hier mit dem Bau des neuen Stadthauses eine Vorreiterposition eingenommen. Die Venloer Einwohnerinnen und Einwohner, die Unternehmen und die Bildungseinrichtungen sind inspiriert oder mit dem Nachhaltigkeitsvirus infiziert worden. Große Festivals und Veranstaltungen werden unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit organisiert, Unternehmen stellen auf eine nachhaltige Produktion um, der ÖPNV im Stadtgebiet wird zum Beispiel ausschließlich mit Elektrobussen ausgeführt, Schulen werden nach den formulierten Nachhaltigkeitsgrundsätzen gebaut. Die Bildungseinrichtungen haben die Entwicklung einer Ausbildung beziehungsweise eines Studiums mit Nachhaltigkeitsschwerpunkten begonnen.
Welche Rolle spielen die Hochschulen?
Scholten: Meine Erwartungen an die Hochschule Niederrhein und Rektor Professor Doktor von Grünberg sind da hoch. Diese Hochschule hat die Fontys Hochschule in Venlo eingeladen, miteinander zu eruieren, ob ein internationaler Studiengang für zirkuläre Wirtschaft möglich ist. Dabei könnten die Hochschulen im Niederrheingebiet eine Vorreiterrolle spielen.
Venlo kooperiert mit Krefeld auf mehreren Ebenen, es gibt sogar ein gemeinsames Ratsgremium, jetzt werden bald Mitarbeiter ausgetauscht, angefangen bei den Bürgermeistern. Was bringt das?
Scholten: Wir leben an der Grenze und denken, dass wir uns schon gut kennen. Theoretisch stimmt es, wenn man Niederländisch oder Deutsch mit einander reden kann, allerdings unterscheiden wir uns enorm in kultureller Hinsicht. Das gilt besonders für die Verwaltungen. Weil aber unsere Einwohner und Unternehmen beidseitig der Grenze aktiv tätig sind, können wir nicht zurück bleiben. Dazu kommt, dass sowohl Krefeld als auch Venlo hochqualifizierte Mitarbeiter haben, deren Kompetenzen und Sachkenntisse miteinander geteilt werden könnten. Diese Art der Zusammenarbeit ist ein Experiment; ich schaue aber erwartungsvoll und mit Vorfreude auf die ersten Erfahrungen.
Wie weit soll diese Kooperation entwickelt werden?
Scholten: Meiner Meinung nach sollten alle neuen Mitarbeiter der Stadt Venlo am Anfang ihres Dienstes ein Praktikum in Deutschland absolvieren. Das erweitert den Horizont. Dann erst wird die Region verstanden, und für diese wird ja schließlich gearbeitet.
Es heißt, die Venloer sehen sich weniger als Niederländer, sondern mehr als Rheinländer. Woher kommt das?
Scholten: Die Venloer und die Niederrheiner haben eine lange gemeinsame Geschichte und Tradition. Bis zum Ende der napoleonischen Ära gehörten wir zusammen. Und noch immer sprechen wir jenseits der Grenze einen ähnlichen Dialekt. Auf beiden Seiten der Grenze sind die Einwohnerinnen und Einwohner überwiegend katholisch und haben eine vergleichbare Kultur; zum Beispiel die Art, wie in Venlo Karneval gefeiert wird, ist sehr mit dem niederrheinischen Karneval verwandt. Wir spüren ohne große Erklärungen, wie unsere Nachbarn ticken, und die Verwandtschaftverhältnisse reichen bis ins Nachbarland. Es ist dann auch kein Zufall, dass viele deutsche Besucher sagen: bei uns in Venlo.
Welche Bedeutung messen Sie der Wirtschaftsregion Niederrhein inklusive Venlo zu?
Scholten: Im jetzigen Europa, wo die Bedeutung der einzelnen Mitgliedsländer kleiner wird und die europäische Ebene an Bedeutung gewinnt, nehme ich eine andere, neue Bewegung wahr: Die Regionen gewinnen ebenfalls an Bedeutung. Dann ist auch klar, dass Venlo und Noord Limburg mit dem Niederrheingebiet eine wirtschaftliche Einheit bilden. Das ist noch lange nicht für alle offensichtlich; das Wettbewerbs- und Konkurrenzdenken hat noch immer Überhand. Ich erwarte da grundsätzliche eine Veränderung. Wenn ein Unternehmen sich für eine Niederlassung in Nettetal an Stelle von Venlo entscheidet, dann freue ich mich darüber. Diese Entscheidung ist ja weitaus besser, als wenn sich dieses Unternehmen für Marseille entscheidet. Denn die Mitarbeiter dieses Unternehmens werden bestimmt auch in Venlo einkaufen, und vielleicht studieren ihre Kinder in Venlo.
Gibt es konkrete Beispiele für diese Veränderung im Konkurrenzkampf, die Sie erwarten?
Scholten: Neuerdings gab es eine solche Situation, als die Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Stadt Krefeld ein Unternehmen, das in Krefeld möglicherweise nicht passen würde, auf die Möglichkeiten in Venlo aufmerksam gemacht hat. So eine Entwicklung ist pure Qualität der Zusammenarbeit.