Der Rollator wird zum Altar
Ehrenamtliche bringen weniger mobilen Bewohnern eines Altenheims die Hostien in ihre Zimmer: ein Mosaikstein des seit einem Jahr laufenden Seelsorge-Projekts der Caritas.
Stadtteile. Bilder von Schneeeulen liegen im Korb des Rollators, der neben dem Bett von Sibille Hüskes steht. Eine Minieule baumelt an einer der Stangen, ein Katzenschlüsselanhänger gleich daneben, die Griffe sind mit gehäkelten Schonern überzogen. Die 88-Jährige deutet auf das gummierte Brett in der Mitte, das mal als Abstellplatz, mal als Sitzgelegenheit dienen kann. Einmal in der Woche wird es bei ihr allerdings zum Altar. „Da kommt ein hübsches Tuch drauf, eine Kerze und ein Kreuz und die Hostie“, berichtet die Bewohnerin des Altenheims im Hansa-Haus von den freitäglichen Besuchen zweier Ehrenamtlerinnen.
„Das ist so toll, die machen das so schön“, strahlt die Seniorin, die seit 14 Jahren ein Zimmer der Caritas-Einrichtung bewohnt, aber — seit sie nicht mehr ganz so mobil ist — nicht mehr zum Gottesdienst in die „wundervolle Kapelle im Haus“ gehen kann. Zwar schaut sie ihn sich auf Kanal 19 ihres Fernsehers an. „Aber die Hostie kommt eben nicht aus dem Fernseher“, sagt sie lachend.
Adelheid Jacobs-Sturm, Seelsorge-Projektentwicklerin, über den Trick, sich trotz Arbeitsdrucks in Ruhe auf die Gespräche einzulassen
Stattdessen schauen zwei Kommunionhelferinnen der Gemeinde Heilig Geist jede Woche bei Sibille Hüskes und derzeit weiteren zehn bis zwölf Bewohnern vorbei. Dieses seit Oktober laufende Angebot ist ein Mosaikstein des seit einem Jahr laufenden Seelsorge-Projekts der Caritas. Seit Herbst 2016 entwickelt die pensionierte Gemeindereferentin und langjährige Hülser Krankenhausseelsorgerin Adelheid Jacobs-Sturm das Konzept für Seelsorge in den Krefelder Caritasheimen. Seit Herbst 2017 wiederum läuft die Fortbildung von jeweils einem Mitarbeiter pro Haus zu zukünftigen Seelsorge-Koordinatoren. Fünf dieser Teilnehmer haben So-zialarbeit studiert, weitere drei sind Betreuungskräfte.
„Seelsorge muss zutiefst in einem stecken“, versucht Jacobs-Sturm zu erklären, warum es gerade diese acht Frauen — „das wiederum ist Zufall“ — sind, die die Aufgabe am Ende ihres Kurses im Sommer übernehmen werden. Sie werden Ansprechpartner für alle Beteiligten sein: Bewohner, Mitarbeiter, Ehrenamtliche.
So wie Natascha Meyer, die gerade im Lieblingssessel von Sibille Hüskes sitzt und mit ihr plaudert. Als Seelsorge-Koordinatorin im Haus wird sie nicht nur selbst Gespräche mit Senioren führen, wenn diese ihr Herz ausschütten wollen. Sie wird für ihren Schwerpunkt auch eng mit den anderen Mitarbeitern und Ehrenamtlichen zusammenarbeiten — wie jetzt bereits mit den beiden Kommunionhelferinnen, die ins Hansa-Haus kommen. „Ich spreche vorher mit den beiden Damen, begleite sie zu den Senioren, und wir erzählen danach noch mal, man muss dann auch zur Ruhe kommen“, berichtet Meyer von den insgesamt drei Stunden freitagsnachmittags.
„Die nehmen sich so viel Zeit“, begeistert sich Sibille Hüskes, „ich erzähle allen, wie gut das tut.“ Die Zeit, die zur Verfügung steht, die Tatsache, dass man nicht überall gleichzeitig sein kann, auch mal krank oder im Urlaub ist, aber auch das Problem, dass nicht immer jeder mit jedem klarkommt, lässt Planerin Adelheid Jacobs-Sturm das ganze Projekt auf drei Säulen aufbauen. Neben der Arbeit mit den Koordinatoren baut sie auch wegen der Suche nach weiterer ehrenamtlicher Unterstützung unter anderem das Netzwerk mit den katholischen Gemeinschaften der Gemeinden, dem Hospiz und dem Katholischen Forum aus. Ab kommendem Herbst sind die anderen Mitarbeiter der Caritas-Altenheime im Blick. Für alle Berufsgruppen im Haus, ob Pflegekraft oder Hauswirtschafterin, wird es einen Kurs geben, um auch sie für das Thema zu sensibilisieren. Denn die Mitarbeiter können oft wichtige Hinweise auf seelsorgerischen Bedarf der Bewohner geben oder auch selbst reagieren — wenn sie wissen wie.
Oft gibt es auch „versteckte Themen“, wie Jacobs-Sturm sie nennt: „Schuld zum Beispiel oder Scham, wie bei Vergewaltigung, wir reden ja über eine Generation, die den Krieg und die Vertreibung erlebt hat.“ Dieses Versteckte zu erkennen, auch darum geht es in den Fortbildungen. Aber das sei „das Handwerk, das Feintu-ning, das am Ende das Leichteste ist“, sagt Caritas-Vorstand Hans-Georg Liegener, im Wesentlichen gehe es bei der Seelsorge „um Haltung, Wertschätzung, Wahrnehmung“.