Vortrag in der Museumsscheune Der Wolf: Schützenswertes Wildtier oder böser Dämon?
Linn · In einem Vortrag mit Theaterintendant Michael Grosse ging es um die lange Beziehung von Wolf und Mensch.
GW954f ist ihr offizieller Name, ihr Ende scheint besiegelt. Gloria wird die Wölfin in den Medien genannt, sie gehört zum Rudel bei Schermbeck. Sie hat zu oft Nutztiere gerissen, Schutzmaßnahmen konnten sie daran nicht hindern. Jetzt hat das Land das Abschussverfahren eingeleitet, so eine frische Meldung. Der Termin des Vortragsabends „Auf den Wolf gekommen“ mit der Journalistin Rita Mielke als Moderatorin und Theaterintendant Michael Grosse als Rezitator in der Museumsscheune des Museums Burg Linn hätte tagesaktueller kaum platziert werden können. Er war freilich schon länger angesetzt.
Mielke und Grosse spannten mit Texten aus mehreren Jahrhunderten einen weiten Bogen, der das zwiespältige Verhältnis von Mensch und Wolf beleuchtete. Die „literarisch-kulturgeschichtliche Spurensuche“ war Teil der Reihe „Horizonte – Erdung“ des Vereins Kulturraum Niederrhein.
Mit Wolfsgeheul vom Band stimmte Mielke ein, die Faszination, die vom Wildtier Wolf, Vorfahre des Haushundes, ausgeht, vermittelte sich ohne Worte. Und als der Mensch noch nomadisierender Jäger und Sammler war und noch nicht sesshafter Ackerbauer und Viehzüchter, wurde der Wolf wahrscheinlich eher als Gefährte angesehen.
Die Ureinwohner-Legende „Der erschöpfte Wolf“ aus Nordamerika erzählt jedenfalls von der Wertschätzung des Wolfs als Jagdhelfer und sogar Clan-Mitglied. In der Fabel „Der Wolf und das Lamm“ von Jean de la Fontaine (1621–1695) ist der Wolf dann aber der Bösewicht, der sein „Recht des Stärkeren“ gegen ein Lamm ausnützt.
Ein magisches und positives Identifikationsobjekt
Mielke wies darauf hin, dass das Christentum zur Dämonisierung des Wolfs als überdimensionale Bedrohung entscheidend beigetragen habe. Aus Sicht des Menschen stelle der Wolf dessen Vorherrschaft infrage. In der Legende „Der Wolf von Gubbio“ vermittelt der heilige Franziskus zwar zwischen einem Wolf und Stadtbewohnern, aber der Text dient wohl eher der Glorifizierung des Heiligen.
Texte von Christian Morgenstern, Rudyard Kipling (aus „Das Dschungelbuch“) und Hermann Hesse folgten. Morgenstern ironisiert den Werwolf-Mythos, bei Hesse knüppeln Bauern das edle Wildtier erbarmungslos nieder, Kipling idealisiert eine Wolfsmutter.
Für die Ausnahmepianistin und Wolfsexpertin Hélène Grimaud ist der Wolf magisches und positives Identifikationsobjekt, wie ein Text aus ihrer Autobiografie „Wolfssonate“ beeindruckend verdeutlichte. Der Aufklärer Lessing warb schon in seiner 1759 erschienen Fabel „Die Geschichte des alten Wolfs“ um Verständnis für das Tier, das ja schließlich nur seinen Hunger stillen will.
Negative Zuschreibungen beherrschen aber immer noch die Diskussion um die Rückkehr des Wolfs, der im 19. Jahrhundert in Zentraleuropa schon einmal ausgerottet war und nun unter Schutz steht. Worüber reden wir, wenn wir vom Wolf reden? Wohl oft genug mehr über das Bild, das wir von ihm haben, und das hat – wie der Abend deutlich machte – eine lange Tradition.