Analyse Kommunalwahl: SPD hat mehr Bewerber als Plätze

Krefeld · Nach Abstimmungsniederlagen im Ortsverein versuchen zwei Interessentinnen beim Parteitag dennoch Kandidatinnen für den Stadtrat zu werden. Das stellt die Sozialdemokraten vor gleich drei Herausforderungen.

Karin Späth möchte gerne wieder für Oppum/Linn in den Stadtrat einziehen. Mustafa Ertürk (r.) ist einer der drei Kandidaten, die der Ortsverein dafür mehrheitlich vorgeschlagen hat. Benedikt Winzen ist kommissarischer Parteichef und freut sich über „Pluralität und Qualität“ in der SPD.

Foto: Bischof, Jochmann, Stadt; Grafik: KLXM

Mehr Zeit sorgt nicht für weniger Probleme. Wäre die Corona-Krise nicht eingetreten, hätte die Krefelder SPD im März bei einer Vertreterversammlung ihre Kandidaten für die Kommunalwahl im September bestimmt. So aber wurde der Termin abgesagt. Ein neuer steht noch nicht fest. Die Liste muss bis Ende Juni stehen, im Zweifel muss es eine virtuelle Lösung für die Wahl geben. Unabhängig von Zeitpunkt und Form aber werden die Sozialdemokraten das Problem haben, dass sie mehr Bewerber als Listenplätze und damit mehr Herausforderungen haben, als ihnen lieb ist.

Was bisher geschah: In Oppum und Linn gibt es drei Wahlkreise. Im SPD-Ortsverein für die beiden Stadtteile gab es drei Abstimmungen mit jeweils zwei Bewerbern. Dabei erhielten Ercüment Ak, Mustafa Ertürk und Ismail Ertürk die Mehrheit. Sie wurden damit die Vorschläge des Ortsvereins. Der Unterbezirksvorstand der SPD hat aus den Vorschlägen aller Ortsvereine die Liste für die Vertreterversammlung erstellt – einstimmig. Anschließend hat die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) zwei zusätzliche Bewerberinnen benannt: Karin Späth und Sabine Fochler, zwei der drei Unterlegenen aus den Abstimmungen in Oppum/Linn. Späth sitzt seit vielen Jahren für die SPD im Stadtrat und wollte ihre Arbeit dort fortsetzen. Sie ist auch Vorsitzende der AsF in Krefeld.

Für die Krefelder Sozialdemokraten ergeben sich daraus drei Herausforderungen:

1. Wie reagiert der Ortsverein? Die Wahl im Stadtbezirk entspricht einer Empfehlung für die Stadtebene. Die Mitglieder des Ortsvereins müssen deshalb damit rechnen, dass ihre Mehrheit am Ende nicht die Mehrheitsmeinung in der Krefelder SPD entspricht. Umgekehrt muss die Partei bedenken, wie die Mitglieder des Ortsvereins Oppum/Linn es finden, wenn zwei ihrer drei Voten überstimmt werden – und ihr Ortsverein der einzige ist, dem dies widerfährt.

Dies wiegt mit Blick auf Oppum/Linn umso schwerer, als der Ortsverein dort zu denen zählt, die sich positiv entwickeln. Der Vorsitzende Mustafa Ertürk berichtet, dass die Zahl der Mitglieder seit Anfang 2019 um mehr als die Hälfte gestiegen sei. 50 neue Genossen seien hinzugekommen, der Ortsverein sei nun 137 Mitglieder stark. Unter den Neumitgliedern seien Frauen und Männer aller Altersgruppen. Das fange bei der 16-Jährigen an und höre beim 69-Jährigen auf, sagt Ertürk.

Als einen Grund für den Anstieg nennt der Vorsitzende das Modell der flexiblen Mitglied­schaft: „Ich habe oft den Satz gehört, dass man sich zwar vorstellen könne, in die SPD einzutreten, aber die Zeit nicht vorhanden sei, um sich dann wirklich zu engagieren. Daher sind wir in Oppum-Linn dazu übergegangen, diese Hürde abzubauen. Jedes neue Mitglied kann für sich entscheiden, ob überhaupt und an welchen Stellen man sich aktiv einbringen kann und möchte. Auch gestalten wir unsere Vorstandssitzungen immer offen, so dass jedes Mitglied zu jeder Zeit dazu kommen und sich einbringen kann.“ Dies ermögliche im Vorfeld der Kommunalwahl mehr Aktionen durchzuführen. Dies birgt umgekehrt die Gefahr, dass neue Mitglieder frustriert werden, wenn ihr Votum bei der Vertreterversammlung überstimmt wird. Der kommissarische Parteichef Benedikt Winzen erklärte auf Anfrage, dass es neben Späth und Fochler „bisher keine weiteren Vorschläge der AsF oder einer anderen Gliederung“ gebe. Vorschläge seien jedoch bis und auch während der Vertreterversammlung noch möglich.

2. Wie reagiert die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen? Die SPD-Fraktion hat im Krefelder Stadtrat 21 Mitglieder, sieben davon sind Frauen. Das entspricht einer Quote von 33 Prozent. Mindestens einen ähnlichen Wert möchte die Parteispitze auch bei der Kommunalwahl im Spätsommer wieder erreichen. Darauf stützt sich die Bewerbung von Späth und Fochler. Eine Anfrage unserer Redaktion dazu beantwortete Späth mit einem Verweis auf Winzen. Der wiederum erklärte auf Anfrage: „Dass für einen Wahlkreis auch mal mehr als nur ein Personalvorschlag unterbreitet wird, ist daher durchaus nicht unüblich und ein Zeichen von Pluralität und Qualität in unserer Partei.“

Aus Parteikreisen ist zu hören, dass Späth damit argumentiert, die drei Männer, die sich im Ortsverein durchgesetzt haben, wollten Frauen verhindern. Ercüment Ak berichtet, er wäre für eine Argumentation zugunsten mehr weiblicher Kandidaten vor seiner Kandidatur offen gewesen, aber Späth habe nicht mit ihm gesprochen. „Ich habe vor meiner Kandidatur versucht, mit Karin Späth ins Gespräch zu kommen. Leider hat sie das verwehrt. Dann habe ich kandidiert und gewonnen. Ich habe auch danach immer wieder versucht, mit ihr zu sprechen, sie hat das aber immer abgelehnt“, berichtet Ercüment Ak. Ismail Ertürk ergänzt: „Unsere Gesprächsangebote sind ausgeschlagen worden, weil die Kandidatin  [Karin Späth, Anm. d. Red.] davon ausging, sich im Ortsverein durchzusetzen. Und weil sie wusste, dass sie im Zweifel noch auf eine Nominierung der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen setzen kann.“

3. Wie reagiert die Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt? Die Arbeitsgemeinschaft begrüßte die Wahl von Ak und den Brüdern Ertürk, weil damit Praxis wird, was auf einem Parteitag programmatisch beschlossen worden war. Die SPD möchte mehr Menschen mit Migrationshintergrund als Kandidaten und Inhaber von Ämtern haben, um damit die Gesellschaft besser abzubilden. In Krefeld hat etwa jeder Dritte einen Migrationshintergrund. Unter den 29 Wahlkreis-Kandidaten wären es dann rund zehn Prozent. An dieser Stelle ergibt sich ähnlich wie beim Ortsverband die Frage, wie die Arbeitsgemeinschaft es bewertet, wenn die Zahl merklich schrumpft. Ismail Ertürk könnte am Ende der einzige der drei sein, der für den Stadtrat antritt, weil es für ihn bisher keine interne Gegenkandidatin gibt. „Die Mitglieder im Ortsverein und der Unterbezirksvorstand haben ein klares Votum abgegeben. Es ist sehr schade, dass nun über Tricks versucht wird, bei der Vertreterversammlung ein anderes Ergebnis zu erreichen“, sagt er.