Spezial zur Kölner Straße in Krefeld Er machte sich mit einem Kiosk selbstständig - dann kam Corona

Krefeld · Ersin Erorhan wollte mit seinem Kiosk in Krefeld in die erfolgreiche Selbstständigkeit starten – nun bleiben die Kunden weg, und er steht für ein paar Euro Umsatz pro Tag im Laden.

Wartet auf Kundschaft: Ersin Erorhan in seinem Kiosk an der Kölner Straße.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Kurz schaut die Mutter mit dem Kinderwagen durch die offene Ladentür. Vielleicht wäre sie vor ein paar Wochen noch reingekommen. Vielleicht hätte sie eine Apfelschorle in Richy´s Kiosk gekauft. Vielleicht hätte sie eine Süßigkeit geholt oder die Milch, die sie im Supermarkt eben vergessen hat.

Doch sie kommt nicht rein.

Sie schiebt den Kinderwagen weiter über die Kölner Straße. Noch nicht mal die Toilettenpapier-Packungen auf dem Tresen können die Frau locken. Da sei die Nachfrage zu Beginn der Corona-Krise größer gewesen, sagt Kiosk-Inhaber Ersin Erorhan. Mittlerweile haben die Menschen offenbar andere Sorgen. So bleibt Erorhan allein in seinem Laden mit der Hausnummer 195 – mal wieder.

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Wäre das hier keine Tageszeitung, die auch von vernünftiger Sprache lebt, würde man wohl sagen: Erorhan ist einer, bei dem es verdammt beschissen läuft. Die Folgen der Corona-Krise treffen das Geschäft des 30-Jährigen hart – obwohl er die ganze Zeit geöffnet hatte. Die Kunden bleiben dennoch weg.

Erorhan, schwarze Haare und Schutzmaske im Gesicht, hat sich die vergangenen Wochen anders vorgestellt. Den Kiosk übernahm er zum 1. März von einem Bekannten. Der habe gute Umsätze erzielt, sagt Erorhan. Das wollte der junge Mann auch. Durch eine Verletzung bei einem Unfall habe er es schwer gehabt, einen neuen Job zu finden. Mit dem Kiosk wollte und will er als Selbstständiger Erfolg haben. Unter anderem verkaufte er sein Auto, um Geld für den Start zu bekommen.

Nun sitzt Erorhan auf einem Barhocker im hinteren Teil des schmalen Ladens. Die Regale quillen beinahe über. Da stapeln sich Bierkästen, bis unter die Decke liegen Zigarettenschachteln. Vorne sind die Aufsteller mit den Süßigkeiten und der Kühlschrank. Hinten wird es ein Kessel Buntes. Vom Hundefutter bis zum Massagekissen liegt alles im Regal. Trotzdem muss Erorhan selten vom Barhocker hinter den Tresen. Es ist ja kaum jemand da an diesem Vormittag. Irgendwann holt ein älterer Herr ein viel zu frühes Pils. Eine halbe Stunde vergeht. Ein junger Mann kommt und will zwei Trinkpäckchen. Das sei insgesamt zu wenig Kundschaft, sagt Erorhan.

Dabei hatte es im März so gut begonnen. „Die Stoßzeit war von 17 bis 22 Uhr“, sagt Erorhan. Manchmal sei er sogar bis ein Uhr in der Nacht geblieben, weil noch Kunden kamen. „Da holen sich die Leute was zu trinken oder zu knabbern.“ Am besten würden eigentlich Zigaretten gehen. „Und wer Zigaretten kauft, nimmt meistens noch eine andere Kleinigkeit mit“, sagt Erorhan. Nun könne er das Geschäft viel früher zusperren als vorgesehen. „Die Leute bleiben zu Hause“, sagt Erorhan. Sie hätten vermutlich Angst. Für ein, zwei Teile ins Büdchen zu gehen sehen viele wohl nicht ein. Sie kaufen lieber alles im Supermarkt. „Gerade abends ist viel weniger los auf der Straße“, sagt Erorhan.

Da nütze es auch nicht viel, dass sein Laden nie aufgrund von Regeln schließen musste. Andere Dinge in der Umgebung sind dafür dicht. Die Hochschule Niederrhein zum Beispiel. Aus dem Studierendenwohnheim kämen sonst junge Leute, sagt Erorhan. „Die kaufen oft eine 5-Minuten-Terrine. Jetzt sind die meisten zu Hause bei ihren Eltern.“ Danach nennt er den Spielplatz gegenüber: abgesperrt. Und wenn keine Kinder dort spielen, will auch keiner Süßigkeiten.

Kurz blickt Erorhan zu Boden, dann ereignet sich doch mal wieder ein mittleres Wunder: eine Kundin! Mit einem Paket unterm Arm kommt die Dame mit den braunen Haaren in den Laden. „Ich würde das gerne abgeben“, sagt sie. „Sehr gerne“, sagt Erorhan. Sein Laden ist nicht nur Grundversorger, sondern auch Paket-Shop. Erorhan hievt das Paket über die Theke. „Vielen Dank“ – „Ciao, bis dann“. Schon ist die Kundin weg. Erorhan legt das Paket zu zwei, drei anderen. Er verdient pro Stück, das hier verschickt wird. Eigentlich sollten es 20 bis 25 Pakete am Tag sein. „Momentan sind es acht oder neun.“ Pakete, die für Kunden abgegeben werden, sind ebenso selten. „Es sind ja fast alle zu Hause und können ihre Bestellungen persönlich annehmen.“

So stehe er nun ’rum für ein paar Euro am Tag. Auch die Maskenpflicht mache es nicht besser, sagt Erorhan. Viele Kunden seien nicht bereit, für den kurzen Einkauf bei ihm den Schutz aufzusetzen. Er müsse die Menschen wegschicken – und damit seinen Lebensunterhalt. Trotz des Ärgers kann er die Maßnahmen der Politik nachvollziehen. „Es soll ja nicht noch weiter verteilt werden.“

Gegen Mittag kommt Hamid Reza Salari, ein stämmiger Kerl im roten Oberteil, in den Laden. Er ist Erorhans Lieferant. Salari hat die Bestellliste dabei. Voll wird die hier genau so wenig wie in anderen Läden. Fast alle Kioske hätten Probleme, weiß Salari. „Die nehmen nur noch die Hälfte der Ware.“ Bei einigen sieht er die Existenz gefährdet.

Erorhan zieht seinem Besucher einen Kaffee aus dem Automaten. Die Männer kennen sich. Erorhan muss seine Rechnungen bei Salari aktuell nicht sofort bezahlen. So bieten es auch andere Lieferanten an. Das hilft, macht aber nicht glücklich. „Wie lange soll es so weiter gehen?“, fragt Erorhan. „Ich mache keinen Druck“, sagt Salari.

Gerne hätte Erorhan eine Hilfszahlung der Landesregierung für Selbstständige genutzt. Das geht nicht. Er hat sein Gewerbe nicht lange genug. Dieses Kriterium kann er nicht nachvollziehen. Wer schon länger dabei ist, habe sicher Rücklagen für zwei, drei Monate, sagt Erorhan. Gerade neue Anbieter bräuchten doch Hilfe. Salari unterstützt das. Neue Geschäfte seien wie Kinder. Die müsse der Staat schützen. Und noch etwas stört ihn. Das Geld würde entsprechend des Umsatzes und nicht des Gewinns, der in der Kasse bleibt, verteilt. Schlecht für den Händler, dessen Produkte unterschiedlich viel abwerfen. Bei einer Pulle Schnaps bleibt weniger über als bei Süßkram. Ausgerechnet der findet aber weniger Käufer. „Im Januar habe ich eine Palette Haribo verkauft“, sagt Salari. Im März und April zusammen sei es die halbe Menge gewesen.

Was Erorhan nun noch hilft, ist, dass er wenige Ausgaben für das tägliche Leben hat. Er kann bei seinen Eltern wohnen und spart so zumindest die Miete. Die Vorstellung zum Start der Selbstständigkeit sah anders aus – das ist klar.

Trotz der etlichen Probleme will Erorhan nicht aufgeben. „Ich muss da durch und ziehe das durch.“ Er werde dafür sorgen, dass der Laden wieder läuft. Dafür will er sich nicht allein auf Pakete, Kippen und Massagekissen verlassen. Aufladekarten fürs Handy will Erorhan vertreiben. „Und Geldtransfer in Länder wie die Türkei oder Rumänien möchte ich einrichten“, sagt Erorhan. „Ich hoffe einfach, dass es bald besser geht.“