Premiere Ein Glücksfall für das Stadttheater
Krefeld · Nava Zuckermann bekommt bei der Premiere von „Die Hamletmaschine“ für ihre Inszenierung viel Applaus.
Heiner Müllers Stück „Die Hamletmaschine“ von 1977 ist sowohl Konzentrat des klassischen Shakespeare-Stoffs als auch Selbstreflexion des Dramatikers Müller als Intellektueller im repressiven System der DDR; ist einerseits ein für unspielbar gehaltener Textblock, andererseits ein durch seinen Anspielungsreichtum zeitlos faszinierender Text. Die israelische Regisseurin Nava Zuckermann bettet ihn für ihre Krefelder Inszenierung in eine Textmontage ein und holt den Stoff damit sehr lebendig ins Hier und Jetzt. Die Premiere der Studioproduktion des Theaters Krefeld Mönchengladbach fand in der Fabrik Heeder statt.
Die Politik der Gegenwart
wird in dem Stück aufgegriffen
„Alles ist Material“, das war ein Grundsatz Müllers. Er hätte gegen die Montage seines Textes mit Shakespeare-Passagen in der Übersetzung von Schlegel und Texten, die offenbar in der Arbeit mit dem Ensemble entstanden sind, sicher nichts einzuwenden gehabt. Original-Müller gibt es zunächst in homöopathischen Dosen, mit zunehmender Dauer aber fließt immer mehr von der Sprengkraft der „Hamletmaschine“ in die Inszenierung ein.
Die Schauspieler spielen nicht nur ihre Rollen, sondern vermeintlich auch sich selbst. Dabei reflektieren sie ihre Arbeit, die dargestellten Figuren, aber auch ihr Verhältnis zur Gegenwartspolitik. Auf dieser Ebene wird nebenbei so viel vom Shakespeare-Stück erzählerisch transportiert, dass sich ein fürs Verständnis ausreichendes Bild vom Drama ergibt.
Königsmörder Claudius (Michael Ophelders) hat die Königinwitwe Gertrud (Crescentia Dünßer) geheiratet. Jetzt gilt es, das Volk beruhigend zu manipulieren, also hat man es in den Königspalast geladen. Und so spielt dann auch das Publikum in dieser Inszenierung mit. Gertrud bietet den Zuschauern zu Beginn Wein an, später wird auch Brot gereicht. „Wir freuen uns, Sie begrüßen zu dürfen“, heißt Getrud die Zuschauer willkommen. So behaglich wird’s nicht bleiben. Jedenfalls wird man so von Beginn an in die Handlung hineingezogen.
Im Verlauf muss das Publikum dann auch zweimal ins Foyer wandern. Währenddessen wird im Hauptsaal umgebaut. Man geht wie bei einer Schlossführung durch verschiedene Räume, von Bühnenbildnerin Lydia Merkel so karg wie funktional ausgestattet.
Natürlich ist der Sohn des ermordeten Königs und Claudius‘ Neffe, natürlich ist Hamlet (Bruno Winzen) das irrlichternde Kraftzentrum der Inszenierung. Seine Rache für den Mord an seinem Vater aber trifft (hinter den Kulissen) zunächst nur den Ratgeber Polonius, unglücklicherweise den Vater seiner Geliebten Ophelia (Jannike Schubert).
Der Getriebenheit Hamlets setzt Ophelia Verweigerung entgegen, doch entzieht sie sich auch kraftvoll dem Opferklischee. Hamlets Freund Horatio (Paul Steinbach) ist der Motor der Inszenierung. Er vermittelt, hinterfragt, führt das Publikum von Bild zu Bild.
Er stellt am meisten Bezüge zu unserer Gegenwart her, in der Twitter-Sprüche abrupte Impulse setzen, politische Gegner als „links-grün-versifft“ diffamiert werden. Seine zentrale Botschaft lautet: „Alles ist politisch.“ Nava Zukermann hat genau inszeniert, sprachlich und körperlich. So gelingen den Schauspielern präzise die Tonlagenwechsel zwischen Rollen- und vermeintlich privaten Texten, und ihre körperliche Präsenz wirkt in vielen wie choreographiert wirkenden Passagen packend, oft auch bedrängend.
„Mein Drama findet nicht mehr statt“, sagt der Hamlet-Darsteller bei Müller, sagt er auch bei Zuckermann. Aber in das aktuelle Drama zwischen vermeintlich arroganter Macht und ebenso vermeintlich machtlosen Wutbürgern, in Frankreich mit gelben Westen gerade verstörend unversöhnlich geführt, klinkt sich diese Inszenierung wie beiläufig ein, wirft Fragen auf, sucht nach möglichen Haltungen.
Viel Applaus bei der Premiere für diesen eindringlichen Abend, Zuckermanns inspirierte und inspirierende Inszenierung ist für das Programm des Theaters Krefeld Mönchengladbach ein Glücksfall.