Zeitzeugen Ein Appell gegen das Vergessen

Krefeld · NS-Zeitzeugin Eva Weyl hat einen Zwischenstopp im Gymnasium Horkesgath gemacht. Dort erzählte sie Schülern der Oberstufe ihre Leidensgeschichte als niederländische Jüdin im Durchgangslager Westerbork.

Eva Weyl spricht als Zeitzeugin in Schulen regelmäßig über die Lebensgeschichte ihrer jüdischen Familie.

Eva Weyl spricht als Zeitzeugin in Schulen regelmäßig über die Lebensgeschichte ihrer jüdischen Familie.

Foto: Strücken, Lothar (sl48)

„Alles wird gut, Eva. Bald geht es wieder nach Hause.“ Eva Weyl kann sich noch gut an die hoffnungsvollen Worte ihrer Eltern erinnern. Wie ein Mantra werden sie der damals Sechsjährigen heruntergebetet – „und alle, Erwachsene sowie Kinder, haben das in Westerbrok geglaubt“, sagt die 83-jährige Zeitzeugin. Mit großen Augen schauen die Schüler der Oberstufe des Gymnasiums Horkesgath Weyl an, während sie von ihren Kindheitserlebnissen im niederländischen Durchgangslager Westerbrok erzählt.

Sie bezeichnet sie als unwirklich, gerade zu perfide. Denn der Kommandant des Lagers, Albert Konrad Gemmeker, sorgte dafür, dass es den Insassen an nichts fehlte. „Uns ging es gut. Es gab genug zu essen – ich ging nie hungrig zu Bett. Sogar Arbeit wurde geschaffen und Kulturabende eingeführt, damit die Menschen beschäftigt waren.“ Das Kabarett war eines der besten, erzählt Weyl. Viele SS-Offiziere kamen nach Westerbrok, um sich die Revue anzusehen.

Schule, Arbeit und Kabarett:
Das Leben in Westerbrok

Die Münder der Jugendlichen stehen offen. Eine Kleinkunstbühne in einem Durchgangslager für Menschen, deren nächste Haltestelle eines der Vernichtungslager im Osten ist? Ja, das gab es, bestätigt die 83-Jährige. „Gemmeker kreierte einen schönen Schein. Das war Teil seines Plans, um die Menschen im Lager ruhig zu halten.“ Zwar hörten die Insassen Gerüchte von deutschen Lagern in Polen und den dortigen Gräueltaten, doch in Westerbork konnte und wollte man das nicht glauben. Doch der Genozid während des Zweiten Weltkriegs war nur allzu wirklich.

„Ihr müsst die Geschichte kennen, damit sie sich nicht wiederholt“, appelliert Weyl. „Glaubt nicht alles, was man euch erzählt. Hinterfragt!“ Als Beispiel zeigt sie ein Bild mit drei Schülern. Während zwei von ihnen den Kopf hängen lassen, schreibt der andere auf eine Tafel „Der Jude ist unser größter Feind. Hütet euch vor den Juden“ – und das vor der ganzen Klasse. Bereits in jungen Jahren seien jüdische Mitmenschen verhöhnt und ausgeschlossen worden. „Hitler wollte den Juden das Leben in Deutschland erschweren“, weiß Weyl. Von Ermordung habe er vor der Nation nie gesprochen. Die Kombination aus geschichtlichen Fakten gepaart mit persönlichen Einblicken in ihr Leben bewegen die Jugendlichen.

„Wenn wir Zeitzeugen nicht mehr sind, wer trägt dann die Geschichten weiter?“, fragt sie. „Ihr! Ich bin hier gegen das Vergessen. So etwas darf nie wieder passieren, also will ich euch meine Geschichte erzählen.“ Der 83-Jährigen ist bewusst, wie viel Glück sie und ihre Familie hatten – dreieinhalb Jahre lebten sie in Westerbrok. In anderen Lagern seien die Menschen schließlich verhungert oder vergast worden. Auf der Leinwand erscheint ein Bild, auf dem die ausgemergelten Körper von Männern zu sehen sind. „Das ist das Konzentrationslager Buchenwald“, sagt sie. An die 38 000 Menschen seien dort ermordet worden. Das Bild von Verbrannten ist zu sehen.

„Die Einwohner haben später beteuert, dass sie nicht wussten, was vor Ort geschah. Doch sie wussten es“, weiß Weyl. „Bevor ihr jemanden verurteilt, schaut euch den Menschen genau an, lernt ihn kennen. Danach könnt ihr urteilen.“ Sie kennt die Zeit, in der die Welt „verrückt geworden“ war. Sie fordert von den Jugendlichen Wachsamkeit vor politischem Extremismus. „Ihr seid im Wahlalter, daher passt gut auf, wen ihr wählt.“

Schließlich solle sich die Vergangenheit nicht wiederholen – nie wieder.