Kriegskinder Gänsehaut im Theater Hintenlinks

Das dokumentarische Stück „Kriegskinder“ wird durch anwesende Zeitzeugen ein Erlebnis für Schüler.

Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Die Bühne im Theater Hintenlinks an der Ritterstraße ist mit einem löchrigem Laken abgehangen, eine Frau in Krankenschwestertracht steht davor und spricht den Prolog. Die Zuschauer — die Klassen 10a und 10b der Stephanusschule Krefeld — erfahren, dass Gisela Wohlfahrt einen Schlaganfall erleidet, als sie mit ihrer Enkelin im Park ist.

Die Szenerie wird von einem markerschütternden Schrei durchbrochen, Sirenen heulen laut auf, übertönt von dem atemberaubenden Lärm von Flugzeugen und detonierenden Bomben. Gisela Wohlfahrt sitzt mit wirren Haaren, weißem Nachthemd und schwarzen Zähnen aufrecht in einem Bett, das in einem Pflegeheim stehen könnte und ist gefangen in ihren Erinnerungen an die Zeit des zweiten Weltkrieges.

„Kriegskinder“ ist ein Dokumentartheater-Projekt für die Sekundarstufen I und II von Peter Gutowski, in dem er anhand von Gisela Wohlfahrt das Schicksal der Jüngsten im zweiten Weltkrieg nachzeichnet. Der Autor hat mit diesem Stück auch die Geschichte seiner Mutter nachgezeichnet und bittet die anwesenden Schüler daher, sich das Lachen während der Vorstellung zu verkneifen.

Diese Bitte wird mehr als Erfüllt: Die Jugendlichen verfolgen gebannt das Geschehen auf der Bühne und erleben mit, wie die Seniorin immer wieder in Erinnerungssequenzen abtaucht — mal ganz offensichtlich in der Gegenwart, wenn sie der Krankenschwester von ihrer Kindheit auf dem kleinen Dorf erzählt, mal etwas subtiler mit abgespielten Sprachaufnahmen.

Ihre Geschichte gipfelt nach einer langen und beschwerlichen Reise durch das kriegsgebeutelte Land in der Bombardierung Dresdens, bei der ihre Mutter ums Leben kommt, als sie sich schützend über Gisela und ihre Schwester wirft. Die beiden kleinen Mädchen machen sich alleine auf in das Rheinland zur Großmutter, der scheinbar letzten noch lebenden Verwandten. Die alte Dame in der Gegenwart kann die Erinnerungen nicht verdrängen, sieht sie immer vor sich und als sie zum Ende ihrer Kriegskindgeschichte kommt, stirbt sie.

„Ich hatte in manchen Momenten echt Gänsehaut“, sagt Sina (15). „Das war wirklich bewegend. Ich hatte mich bisher mit dem Thema zweiter Weltkrieg nur in der Schule beschäftigt, das Stück hat noch mal ganz andere Einblicke gegeben.“ Und auch Jan (16) ist begeistert: „Das war faszinierend. Das Märchen von der Schneekönigin kannte ich schon vorher, aber in diesem Kontext hatte es noch eine ganz andere Bedeutung, Gisela war in der Rolle des Mädchens und hat ihren Vater gesucht.“

Tatsächlich steht das eingearbeitete Märchen von Hans-Christian Andersen für die Kälte und die Grausamkeit des Krieges, der alles verschlingt. Im Nachgespräch erläutert Gutowski nicht nur Details, die Zehntklässler haben auch die Möglichkeit, ihre persönlichen Fragen an die eingeladenen Zeitzeugen zu stellen.

Ernest Faust (Jahrgang 1939) und Waldtraut Bollmann (Jahrgang 1936) berichten von ihren Kindheitserlebnissen und sind sichtlich gerührt von dem Stück — es floss sogar die ein oder andere Träne.

„Ich konnte 55 Jahre lang nicht über meine Kriegserlebnisse sprechen und jetzt bin ich froh, dass ich wieder weinen kann“, sagt Waldtraut Bollmann. „Ich war im Februar 1945 bei Verwandten in Dresden und habe Himmel, Hölle, den Teufel und den lieben Gott kennengelernt.“ Auch Ernest Faust hat ein schweres Schicksal hinter sich, seine Mutter war Kommunistin und starb im Gefängnis. Als kleiner Junge wuchs er alleine in einem Kinderheim auf. „Seit froh, dass ihr nicht im Krieg lebt“, gibt die heute 79-Jährige den Jugendlichen noch mit auf den Weg.

Ernest Faust vergleicht die Situation der Kriegskinder von 1945 mit den Flüchtlingskindern von heute: „Die Kinder, weder damals noch heute, können etwas dafür.“