Ganz allein in entsetzlicher Leere

Felix Banholzer beeindruckt als depressiver Dichter „Lenz“.

Krefeld. Das Glasfoyer geht hinaus zum Theaterplatz, dahin also, wo Krefeld trostlos grau ist wie nirgends sonst. Frank Hänig wird Gründe haben, seinen "Lenz" so nah am Leben spielen zu lassen statt in der abgeschotteten Welt des großen Saals oder der Fabrik Heeder.

Er lässt seine Darsteller sogar durch die Reihen bis zum Fenster sprinten, als suchten sie Kontakt zu der Stadt, in der sie jetzt leben. Sie wollen ankommen, und dabei hilft nicht vorsichtige Distanz, sondern Nähe. So entwickelt "Lenz" nach der Novelle von Georg Büchner schon räumlich eine Direktheit, der man sich kaum entziehen kann - und bekommt am Ende viel Applaus.

Hänigs eigenes Bühnenbild, ein viereckiger Käfig, reicht fast bis ins Publikum hinein, und wenn Lenz die meterhohen Gitter mühelos überklettert, ist er beinahe greifbar nah. Für den jungen Schauspieler Felix Banholzer ist das eine riesige Herausforderung, er kann sich keinen Moment lang verstecken. Als sensibler Dichter verzweifelt er an sich selbst und der Welt, um im nächsten Moment euphorisch die Schönheit des Lebens zu preisen und dann in völlige Gleichgültigkeit zu verfallen. Er zersaust sich das Haar, wirft sich auf den Boden, hält mit Mühe seine Wut in Zaum - und wirft dieses Emotionsbündel abrupt ab, um mit leerem Blick ins Nichts zu starren. Manisch depressiv hieße das heute, damals war Lenz bloß verrückt.

Dass er ein Fall für die Geschlossene ist, daran lässt die Regie von Beginn an keinen Zweifel. Schwester und Pfleger bringen ihn hinein, ein zynischer Arzt (Daniel Minetti in einer effektvollen Nebenrolle) protokolliert seinen Verfall. Lenz singt Nirvana und zitiert Kurt Cobain, noch so ein Genie mit Dachschaden.

Dann begehen Regisseur Hänig und Dramaturg Martin Vöhringer einen Fehler: Sie verwandeln den Arzt in Goethe und die Schwester in Friederike (Felicitas Breest), in die beide Dichter verliebt waren. Statt nun die drei Figuren miteinander zu verbinden, lässt man sie abwechselnd Büchners Erzählung rezitieren und über Kunst und Liebe schwadronieren - Diskurs statt Theater. Vielleicht wollte Hänig das abgegriffene Instrument der Dreiecksbeziehung vermeiden, doch warum setzt er dann überhaupt auf diese Figurenkonstellation?

Starke Momente hat "Lenz" dennoch, vor allem dank Banholzers Präsenz und Felicitas Breests ausdrucksstarker Stimme. Die Schauspielerin mit Gesangsausbildung berührt mit sechs Liedern aus Schuberts "Winterreise". Vor allem "Die Nebensonnen" gegen Ende vermitteln ein Abbild der Lenz’schen Seele, als hätten sie immer dorthin gehört.

Kurt Cobain hat dem eigenen Dunkel ein Ende gemacht, Büchners Lenz lebte in entsetzlicher Leere dahin. Vielleicht hätte der Abend ihm allein gehören sollen.