Grammatik — nur ohne den Gähneffekt
Herbert Genzmer hat ein Buch über die deutsche Sprache geschrieben — ein Gespräch über Schulstoff, stumpfe Formen und Sexismus.
Krefeld. Herbert Genzmer ist Romanautor, Literaturpreisträger, neuerdings auch Kneipenbesitzer in Bockum. Sein neues Buch zeigt eindrucksvoll, dass Regelkunde kein trockener Schulstoff sein muss. Präzise und verständlich, dennoch locker und mitunter ironisch untersucht Genzmer in „Unsere Grammatik“ die Eckpfeiler und Fundamente der deutschen Sprache. Von Grundlagen wie Verben, Pronomina und Präpositionen arbeitet er sich zu Themen wie Sexismus in der Sprache und fremdsprachliche Einflüsse vor. Im Interview spricht er über seine Motive, seine Methoden und eigene Fehler.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das auf den ersten Blick trockene Thema Grammatik aufzugreifen?
Herbert Genzmer: Ich habe Linguistik studiert und mich mit Grammatik beschäftigt, dabei ist es mir immer darum gegangen, den Gähneffekt herauszufiltern. Auf den ersten Blick erscheint das Thema trocken. Dagegen steuere ich an, denn das stimmt nicht.
Wo sehen Sie die Zielgruppe Ihres Buches?
Genzmer: Ich glaube nicht an Zielgruppen, darum würde ich sagen: Meine Zielgruppe sind Menschen. Es geht um Sprache, wie wir sie benutzen, was sie als Instrument leisten kann und muss. Darüber hinaus geht es mir darum, die Begriffe der Grammatik zu entschärfen. Ich habe mich als Schüler im Lateinunterricht mehr damit herumgeschlagen, die Begriffe zu lernen als zu begreifen, wofür sie stehen. Form war immer wichtiger als Inhalt.
Können auch heutige Schüler von Ihrem Buch profitieren?
Genzmer: Nicht viele Eltern sind in der Lage, ihren Kindern zu erklären, was genau zum Beispiel ein Akkusativ ist. Das können sie hier erfahren und ihren Kindern dann nahebringen. Das große Gähnen, wenn die Sprache auf Grammatik kommt, geht ja los, weil man sich mit der stumpfen Form langweilt. Man lernt Begriffe auswendig und denkt, das sei Grammatik. Das stimmt ja nicht! Es geht um das Sprechen. Jeder tut es immerzu, und alle sind bestrebt, es gut zu tun.
Sehen Sie Ihr Buch in erster Linie als Nachschlagewerk, vergleichbar mit dem Duden, oder eher als entspannte Lektüre für zwischendurch?
Genzmer: Es ist ein Verschnitt von beidem. Man kann hier nachschlagen und den Zweifelsfall lösen, man kann aber auch ein wenig weiter lesen — das sind ja keine seitenlangen Aufsätze.
Ihre Bibliographie vermittelt den Eindruck, dass Sie phasenweise Romane schreiben, phasenweise Sachbücher. Woran liegt das?
Genzmer: Ich arbeite gern in verschiedenen Bereichen. Das Spannungsfeld, das sich aus beiden ergibt, tut mir und meiner Arbeit immer gut. Das Umdenken. Natürlich muss ich als freier Autor von der Literatur leben, das ist schwer, das gelingt nur wenigen Menschen. Darum ist die Arbeit in mehreren Bereichen — Sachbücher, Artikel, Reise, Ghostwriter, Literatur — notwendig.
Thema Sexismus in der Sprache: Sie scheinen in Ihrem Buch die Sichtweise des Feminismus zu übernehmen, klammern aber die Frage aus, inwiefern die Sprache durch Vermeidung eindeutig maskuliner Formen hässlicher und umständlicher wird.
Genzmer: Wenn Sprache so umgebastelt wird, dass ständig niemandem auf den Schuh getreten wird, kommt es zum Sprachkollaps. Keiner kann so reden, keine will so schreiben, das Ergebnis ist Gestottere oder unlesbarer Text. Mein Plädoyer geht dahin, sensibel mit Sprache umzugehen und niemanden zu treten.
Dennoch ist „Sexismus“ ein recht hartes Wort für sprachliche Formen, die vor allem eines sind: gebräuchlich.
Genzmer: Es ist eine Tatsache, dass Frauen in der Sprache erst mal nicht vorkommen, sie werden entweder besonders markiert — Student, aber Studentin — oder sie werden in grammatisch maskuline Säcke gesteckt. Diese Situation umzukehren oder sie immer für beide Gruppen passend zu machen, hilft nicht wirklich — und der Sprachästhetik erst recht nicht. Ich klammere die Frage nicht aus, inwiefern die Sprache durch Vermeidung maskuliner Formen hässlicher und umständlicher wird, ich fordere einen verantwortungsbewussten Sprachgebrauch. Das ist nicht einfach, aber notwendig. Etwas beizubehalten, nur weil es immer schon so war, ist kein Argument. Es umzubasteln um des Umbasteln willen auch nicht.
Zum Schluss eine gemeine Frage: Wie stellen Sie sicher, dass Ihnen angesichts des komplexen Regelwerks nicht selbst Fehler unterlaufen?
Genzmer: Nimannt iss unfellbar. (lacht) Zum Glück hatte ich gute Helfer.