Ausgrabung In Gellep schlagen Archäologen-Herzen höher
Rund 300 Funde haben Forscher seit Mai auf dem Gräberfeld gemacht. Sie haben europaweit Bedeutung.
Gellep-Stratum. Da sind diese Tage, an denen der Regen nur so strömt und sich die Erde unter den suchenden Händen zu einer matschbraunen Masse verformt. Und dann sind da die, an denen die Sonne bei 35 Grad unbarmherzig vom Himmel sticht. „An solchen Tagen ist der Boden betonhart“, sagt Jennifer Morscheiser. Gegraben wird trotzdem. Bei Hitze. Und bei Dauerregen.
Über 3,7 Hektar (das sind 37 000 Quadratmeter) erstreckt sich die Grabungsfläche; eingerahmt vom Düngemittelproduzenten Compo auf der einen und dem denkmalgeschützten Castell der Römer, das 2020 als Teil des Niedergermanischen Limes zum Weltkulturerbe werden soll, auf der anderen Seite. 900 Quadratmeter haben die Archäologen seit Beginn der Grabungsarbeiten Anfang Mai untersucht — ein Tropfen auf dem heißen Stein. Der Boden unter Gellep-Stratum ist eine Schatztruhe, betont die Leiterin des Museums Burg Linn: Gut 300 Befunde haben sie auf dem Gräberfeld bis jetzt gemacht, das die Wissenschaftler auf die Zeit bis zu 600 Jahre vor Christus zurückdatieren — das sind 400 Kubikmeter gefüllter Kisten, die sich bereits heute im Museum in Linn befinden, rechnet Jennifer Morscheiser vor. Die Herausforderung sei es, nun herauszufinden, in welche Zeit die einzelnen Fundstücke gehören.
Die bronzene mit Ornamenten verzierte Gürtelschnalle einer römischen Männertracht ordnet die Museumsleiterin dem 1. oder 2. Jahrhundert nach Christus zu. Sie ist nur eines der Fundstücke. Keramik-, Räucher- oder Feldbacköfen aus dem 1. bis 3. Jahrhundert nach Christus sind Zeitzeugen einer zivilen Siedlung nahe des römischen Feldlagers und lassen die Herzen der Archäologen heute höher schlagen. Fast 1000 Münzen, die meisten aus der Spätantike, lassen Kenner scherzen, das Geld müsse damals auf der Straße gelegen haben. Im Boden unter Gellep-Stratum rekonstruieren die Forscher jahrhundertealte Geschichte: Die Pferde-Skelette, die sie hier entdeckt haben, sind wichtige Fundstücke der blutigen Bataverschlacht 69 nach Christus, in der Tiere wie Menschen gefallen sind. „Es ist total genial, der Boden ist richtig voll“, erzählt die Museumsleiterin begeistert und wird dann wieder sachlich: „Das hier ist eine der wichtigsten Fundstellen in ganz Nordrhein-Westfalen.“
Gellep-Stratum ist unter Grabungs-Experten inzwischen europaweit bekannt. 20 Archäologie-Studenten aus Deutschland, auch aus Italien und Österreich, zieht es derzeit in den kleinen Krefelder Stadtteil — „um hier ehrenamtlich bei den Ausgrabungen zu helfen“, sagt Jennifer Morscheiser. „Das zeigt schon die fachliche Bedeutung des Ganzen“, weit über Krefelds Grenzen hinaus. Für die Stadt sei das Gräberfeld des römische Geldubas zudem „ein Filetstück, weil die Grabung wichtige Kenntnisse zur vor-castelllichen Siedlung liefern, zu der man bisher nur wenige Details kannte“.
Die Kölnerin Susanne Drobny ist eine von zwei eigens für die Ausgrabungen in Gellep angestellten archäologischen Technikern, deren Job Museumsleiterin Morscheiser als „moderne Form der Wanderarbeit“ beschreibt. Graben statt Spargelstechen. An heißen Hochsommertagen wie diesen: Knochenarbeit, keine Frage. Doch Susanne Drobny schwärmt: „Das Befundaufkommen ist riesig. Es wird schwierig, das alles zu bewältigen. Wir werden ohne Pause graben, sonst schaffen wir das nicht.“
Denn die Zeit droht den Wissenschaftlern wie die Erde zwischen den Fingern zu zerrinnen. „Wir rechnen alle zwei, drei Tage noch mal hoch und bibbern“, gesteht die Museumsleiterin. Der Zeitplan sei „ambitioniert, aber wir schaffen das“. Denn Ende des Jahres ist Schluss. Keinen Tag später als am 31. Dezember gehören Bagger, Spachtel und Pinsel auf dem Gelände hinter dem Castellweg der Vergangenheit an. Dann will die Firma „Good Mills“ auf der jetzigen Grabungsfläche bauen; 2020 soll im Krefelder Hafen eine der größten Getreidemühlen Europas dort ihren Betrieb aufnehmen.
Jennifer Morscheiser betrachtet das Bauvorhaben mit gemischten Gefühlen. Die Stadt habe ihr wirtschaftliches Interesse am Bau der Mühle plausibel machen können, und das stehe nun mal vor dem Bodendenkmalschutz, erklärt sie. Die Bedingung: Vor Baubeginn muss ausgegraben werden, und: „Good Mills“ müsse für diese Zerstörung zahlen, erklärt die Museumsleiterin. „Das Bestreben der Archäologie ist es immer, den Boden unangetastet zu lassen.“ Um die Geschichte darunter zu schützen. Skelette, Brunnenanlagen, Münzen — all das liege seit nunmehr 2000 Jahren unter der Erde, „ohne, dass es kaputtging. Da kann es auch noch weitere 2000 Jahre liegen“, sagt Jennifer Morscheiser, betont aber auch: „Meine gesetzliche Aufgabe ist es, das Ganze zu schützen. Aber mein Archäologen-Herz schlägt höher, weil ich hier ausgraben darf.“