Kabarett Jürgen Becker schämt sich, dass „Fridays for Future“ nötig ist

Krefeld · Interview Der Kabarettist kommt am Sonntag nach Krefeld – und will dort über allerhand Peinliches sprechen.

 Kabarettist Jürgen Becker will in Krefeld auch über peinliche Themen offen sprechen.

Kabarettist Jürgen Becker will in Krefeld auch über peinliche Themen offen sprechen.

Foto: Simin Kianmehr

Jürgen Becker, Kabarettist, Autor und Fernsehmoderator, kommt aus Köln nach Krefeld. In seinem Programm „Volksbegehren – Die Kulturgeschichte der Fortpflanzung“ bringt er menschliches Verlangen, Religion und Politik zusammen. Am Sonntag, 16. Juni, ab 20 Uhr, macht er die Kulturfabrik (Dießemer Straße 13) zum Raum für Themen, die im Alltag peinlich wären. Wir haben mit dem 59-Jährigen über Peinliches, die Geschlechter und Politik gesprochen.

Welche Verhaltensweisen finden die Menschen an sich besonders peinlich?

Becker: Es gibt Themen, zu denen man nichts sagen möchte. Und doch fragen die Menschen immer wieder danach, selbst wenn sie sich selbst darüber schämen. Die Deutschen haben für diese Grenze einen schönen Begriff erfunden: die Gürtellinie. Denn jeder Mensch möchte nicht alle Details seines Sexuallebens vor anderen ausbreiten. Ich schäme mich aber nicht für Sex. Ich finde es ist eines der schönsten Dinge, die wir Menschen haben. Für viele wird es da aber schnell abstoßend und vulgär. Im Internet ist das aber ganz anders. Hier fühlen sich die Menschen anonym und unbeobachtet. Über ein Drittel des Datenverkehrs im Netz sind pornografische Inhalte. Pro Sekunde werden alleine in Deutschland 30.000 pornografische Inhalte heruntergeladen. Das Thema Sex beschäftigt den Menschen ganz enorm, nur eben nicht in der Öffentlichkeit.

Gibt es etwas, für das Sie sich schämen?

Becker: Wofür ich mich wirklich schäme, da bin ich aber nicht alleine, ist die „Fridays for Future“-Aktion. Ich gehöre nun einmal zu der Generation, die das verschuldet hat. Irgendjemand muss ja nun einmal das CO² in die Luft geblasen haben. Und das war eben meine Genration, ganz klar. Wir sind durch die Welt gereist und fühlten uns auch berechtigt dazu. Da muss man sein eigenes Verhalten dann aber auch ändern. Jetzt bemühe ich mich persönlich, dass zumindest teilweise wieder gut zu machen, indem ich nicht mehr fliege. Die Flüge, die jetzt noch übrig sind, sind meiner Meinung nach der Jugend vorbehalten. Im Nachhinein schäme ich mich wirklich, dass ich so zur Klimakatastrophe beigetragen habe. Bei meinem nächsten Programm versuche ich dann auch darauf hinzuweisen.

Gibt es eine Lebensweisheit, die Sie Ihren Zuschauern mit auf den Weg geben wollen?

Becker: 95 Prozent der Weltbevölkerung hat noch nie ein Flugzeug von innen gesehen. Es ist ein Luxus, der auf Kosten anderer geht. Im Moment bin ich aber auch sehr politisch. Die Welt ist zweigeteilt, in den liberalen und in den autoritären Traum. Der liberale Traum fußt auf der Aufklärung und den Menschenrechten weltweit. Der autoritäre Traum ist so alt wie die Menschheit – hier möchte man starke Führer und einfache Antworten. Da gibt es Putin in Russland, Erdogan in der Türkei, Trump in den USA. Die geben klare Antworten und Meinungen, denen die Menschen folgen. Doch deswegen sollten wir den liberalen Traum und den Pluralismus verteidigen. Wir sollten aber auch daran denken, dass Freiheit die Freiheit der anderen einschränken kann. Deshalb wird bei allem, was heute passiert, deutlich, dass wir das Wort Freiheit neu definieren müssen.

Volksbegehren und die Fortpflanzung, wie passt das für Sie zusammen?

Becker: Es gab vor Kurzem den Fall Strache, in Ibiza. Dieser Mann, den man durchaus als Macho bezeichnen kann. Das wäre in Deutschland gar nicht möglich, da bei uns eine Frau an der Macht ist. Man stelle sich Angela Merkel vor, wie sie ihr Wasser trinkt und dann von einer tiefen Stimme angesprochen wird: „Hallo, ich bin ein attraktiver Mann. Ich habe viel Geld und biete ihnen Kontakte zur russischen Regierung an.“ Dann sagt Merkel aber: „Nein Danke.“ Bei den Frauen funktioniert das eben nicht. Dieses Phänomen ist in der Kulturgeschichte immer wieder zu sehen und immer wieder auf die Politik der letzten Jahre anzuwenden.

Was macht die Zuschauer des Kabaretts so besonders?

Becker: Die Zuschauer im Kabarett kommen, um zu lachen. Das machen die dann auch. Sie sind dann befreit. Die Probleme, die wir so sehen, können einen ja schon traurig machen. Denn wir sehen langsam, gerade durch die Klimaerwärmung: Die Chancen stehen schlecht, dass wir da noch was gedreht kriegen. Doch es gibt eine kleine Chance, und wenn man lacht, entwickelt sich eine Distanz zu den Problemen, und man kann das Ganze von oben betrachten. Das hat auch die Religion versucht. Sie hat einen gedachten Punkt geschaffen, nennen wir ihn Gott, um die Dinge aus einer anderen Sicht zu betrachten. Mit der Phantasie kann man sich einen Überblick verschaffen und kommt so vielleicht auf neue Ideen.

Was ist Ihre Sicht auf die Religionen?

Becker: Die Religionen sind für Satiriker ein reicher Schatz. Der Mensch braucht Räume, Regeln und Rituale. Die Rituale kann die Religion am besten. Man kann, wenn man die Geschichte des Menschen beleuchtet, nie die Religion außen vor lassen. Sie war immer maßgeblich für das, was die Menschen gedacht haben, und hat sie im Positiven wie im Negativen beeinflusst. Heute geht es bei der Religion jedoch nicht mehr so sehr um glauben, sondern darum, dass man irgendwo dazu gehört. Deswegen sehe ich die Religion immer als Bereicherung an.

Sie sind neben den Live-Shows auch im TV und Radio als Kabarettist unterwegs – was machen Sie lieber?

Becker: Lachen ist ein schönes Geräusch. Applaus kann man aus Höflichkeit bekommen, doch Lachen ist immer echt. Das war auch ein Grund, warum ich damals zum Kabarett gekommen bin. In Deutschland gibt es eine unglaubliche Vielfalt an Kabarett. Wir haben die erfolgreichste Humorindustrie. Ich mache es unheimlich gerne und bin sehr froh, damit meinen Unterhalt zu verdienen. Wenn die Worte zünden und die Leute lachen, das macht einfach glücklich. Deswegen haben auch Diktatoren so wenig Humor.

Was gefällt Ihnen, als gebürtiger Kölner, an Krefeld?

Becker: Ich fand immer den Unterschied der Sprache zum Rheinischen sehr schön – die andere Melodie. Die Niederrheinische Melodie in der Sprache finde ich ganz wunderbar.