Lesung im TAM: Männer sollten tanzen und singen können
Das Theater am Marienplatz widmet sich dem dem altindischen „Kamasutra“.
Krefeld. Jede Frauen- und Männerzeitschrift geizt heutzutage nicht mit Ratschlägen für ein erfülltes Liebesleben. Wozu soll man da in unserem Kulturkreis noch nach dem „Kamasutra“ greifen, jenem etwa 1800 Jahre alten indischen Leitfaden der Erotik? Im Fischelner Theater am Marienplatz (TAM) steht im Dezember eine szenische Lesung aus dem „Kamasutra“ auf dem Programm, und immerhin erfährt man, wie nah oder fern die von Vatsyayana Mallanaga eingefangene Vorstellungswelt der heutigen Zeit ist.
Das Ensemble besteht aus 16 Personen, wesentlich mehr Männern als Frauen. Bei der Premiere waren zwei Männer verhindert. Auf dem Abendzettel ist das Ensemble in alphabetischer Folge verzeichnet, in dieser Reihung lässt TAM-Hausherr Pit Therre seine Akteure auch lesen.
Die Auswahl der Passagen lag bei den Lesenden selbst, die zufällige Anordnung der Texte spiegelt so keinen inszenatorischen Zugriff, sondern lässt ein individuell geprägtes Meinungsbild zum Text in Erscheinung treten. Dass sich bei dieser Vorgehensweise Passagen wiederholen, ist nicht auszuschließen, und das geschieht auch.
Das „Kamasutra“ hat mehr zu bieten als die Aufzählung möglicher Positionen beim Liebesakt. Das Verhältnis der Geschlechter insgesamt wird dargestellt. Zwei Frauen lasen eine identische Passage, in denen das patriarchalisch geprägte Rollenmodell der Entstehungszeit des Textes ausgiebig geschildert wird. Das Wohlergehen des Gott gleich gestellten Mannes hat hier der einzige Lebensinhalt der Frau zu sein. Man schmunzelt - ach wie fern ist das denn. Ist es das wirklich? Die heutigen Schwierigkeiten von Frauen, die Berufs- und Familienleben unter einen Hut bringen wollen, erzählen etwas anderes.
Nur ein Mann hat eine Passage ausgesucht, die explizit sexuelle Vorgänge schildert, während die zur Lesung gezeigten Projektionen alter Illustrationen des „Kamasutra“ allerdings ausschließlich diesen Inhalt haben. Die meisten Texte beschäftigen sich hingegen mit verschiedenen Formen der Leidenschaft oder Ratschlägen für das Gewinnen einer Geliebten — und da gibt es auch Regeln für den Mann.
Der sollte unter anderem tanzen, singen, Kränze binden und Aphrodisiaka zubereiten können, um sich für Frauen als begehrenswert zu erweisen, heißt es im „Kamasutra“. Da kann man sich wundern, dass die Menschheit noch nicht ausgestorben ist.