Konzert Neujahrskonzert läutet Beethovenjahr 2020 ein
Krefeld · Die Niederrheinischen Sinfoniker spielen am 1. Januar die ikonische 9. Sinfonie des Komponisten, dessen 250. Geburtstag nächstes Jahr gefeiert wird.
Alex, der Protagonist aus Uhrwerk Orange feierte seine Orgien zu ihr, sprang aus dem Fenster und konnte schließlich dann doch zu ihren Klängen wieder von seiner Horror-Show träumen. Unzählige Musiker – darunter die Toten Hosen in ihrem eben nach jenem Alex benanntem Song – haben sich von ihr inspirieren lassen, und schließlich kennt einen Teil von ihr heute jedes Kind: als Hymne der Europäischen Union.
Beethovens 9. Sinfonie ist, ganz real als Autograf, Welterbe der Unesco, sie ist wohl eines der bekanntesten, wenn nicht das bekannteste Werk europäischer Kunstmusik. Sie ist Beethovens letzte vollendete und wohl alles in allem universellste Auseinandersetzung mit der sinfonischen Form. Eine Sinfonie, also ein Werk, das für ein großes Orchester geschrieben und üblicherweise in – in ihrem Charakter unterschiedliche – Sätze aufgeteilt ist, die aber trotz ihrer Unterschiedlichkeit ein großes Ganzes bilden; in diesem Fall übrigens noch beeindruckender als üblich.
Die „Neunte“ ist mehr als
die Europahymne
Wenn das Hauptthema – jenes aus der Europahymne – des letzten Satzes dieser Sinfonie erklingt, die Worte in sanften aber festen Schrittbewegungen musikalisch auf und abgeführt werden, wenn es heißt „Freude, schöner Götterfunken“, weiß sogleich jeder, um welches Stück es sich hier handelt. Mit großer Begeisterung wird die vereinende, die beflügelnde Kraft dieser Musik gelobt, ihre Ikonenhaftigkeit für ein friedvolles und vereintes Europa. Doch Beethovens op. 125, das 1824 uraufgeführt wurde und das der rheinische Wahlwiener Beethoven in völliger Taubheit wahrscheinlich unter unerträglichen Ohrgeräuschen und Missempfindungen komponierte, ist viel mehr als dieser kleine feine Ausschnitt aus dem großen Ganzen.
Gerade auch deshalb sei jedem, der das ganze Bild und nicht nur ein Häppchen sehen – oder besser zu sagen hier hören – möchte, das diesjährige Neujahrskonzert der Niederrheinischen Sinfoniker im Seidenweberhaus ans Herz gelegt. Immerhin ist es zehn Jahre her, dass Beethovens Sinfonie nach Worten von Schillers „Ode an die Freude“ bei dem Krefelder Neujahrskonzert zu hören war. Braucht es auch wirklich keinen äußeren Anlass, um diese Musik zu spielen, so gibt es zu diesen Jahreswechsel sogar einen sehr bedeutenden Anlass. Denn 2020 feiern wir Ludwig van Beethovens 250. Geburtstag. Man stelle sich vor, ein Vierteljahrtausend ist es immerhin her, dass der kleine Ludwig in Bonn das Licht der Welt erblickte und der große Siegeszug seiner kompromisslosen so oft aus der tiefen Dunkelheit in das helle Licht hinaufstrebenden Musik seinen Ursprung nahm. Und wie zeitlos ist doch diese Musik eines gequälten Menschen, der an Krankheit litt, wie durchdrungen von einer universellen Wahrheit.
Kehren wir also zurück zu dem großen und Ganzen, also dem, was Beethovens „Neunte“ als Ganzes und eben nicht nur diese paar Takte aus der Ode an die Freude so großartig machen. Erstens ist es die Form – wie so oft bei den Klassikern. Eine meisterhafte Beherrschung der Form, das beredte Spiel mit der Frage, wo, wann und wieso eine musikalische Idee in die andere wechselt, wo und wie sie wiederkehrt, wie sich klangliche Gedanken weiterentwickeln und zu Paaren zusammenfinden, um schließlich nach einem Kampf vereint zu werden. Aber auch die große Form der Anlage – wie verhalten sich die einzelnen Teile – also Sätze – zueinander, wie fügen sie sich zu einem Ganzen und vor allem was passiert in ihnen. Bei Beethovens „Neunter“ haben wir es mit vielen revolutionären Neuerungen zu tun, die wohl augenscheinlichste ist, dass er in eine Sinfonie, die üblicherweise reine Orchestermusik war, einen Chor eingebaut hat. Und, das macht die Interpretation, also die Umsetzung, der Musik derart anspruchsvoll, dass er die menschliche Stimme wie ein Instrument im Gesamtensemble des großen Orchesters behandelt.
Für Liebhaber von Kunstmusik sind dies natürlich weniger neue Erkenntnisse, sie wissen auch darum, wie kunstvoll Beethoven aus einer simplen Idee, einer Keimzelle heraus beispielsweise den gesamten ersten Satz entstehen lässt, wie ein Schöpfungsakt, wissen um die unendlich scheinende Variation einer wie ein Fluß fließenden Linie im 3. Satz oder auch um den zünden genialen Einfall, alle Kopfmotive der vorangegangenen Sätze im Finale als Reminiszenzen auftauchen zu lassen. Auch welch frappierende Wirkungsgeschichte dieses Werk mit Blick auf die gesamte sinfonische Musik hatte.
Die aber noch neugierig sind und vielleicht noch weniger Berührung mit den Geheimnissen von „Klassik“ hatten, sind aber in einer viel privilegierteren Situation. Denn sie können in den Genuss des Erlebnisses kommen, „Die Neunte“ ganz jungfräulich auf sich wirken zu lassen, sich in diese Klangwelt mitziehen zu lassen, wie ein Hörer jener Zeit, als diese Musik noch ganz neu war. Zugegeben – die Hörgewohnheiten haben sich seitdem gewandelt, aber diese Musik spricht eine Sprache, die bis aus wenige Ausnahmen, derart zeitunabhängig ist, dass sie noch heute eben jene unverstellte Wirkung auf uns hat. Also, selbst wenn Sie noch nicht so oft in einem Sinfoniekonzert waren, diese etwas über 70 Minuten zur Neujahr im Seidenweberhaus um 11 Uhr lohnen sich. Wenn nicht jetzt, zum Beethovenjahr, wann dann?
Das Neujahrskonzert steht unter dem Titel „Neujahrskonzert für die ganze Welt“. Die Leitung hat Generalmusikdirektor Mihkel Kütson. Die Niederrheinischen Sinfoniker begleiten als Solisten Dorothea Herbert, Sopran, Boshana Milkov, Alt, Kairschan Scholdybajew, Tenor und den Bariton Johannes Schwärsky. Die nicht minder anspruchsvolle Chorpartie übernimmt der Opernchor und Extrachor des Theater Krefeld und Mönchengladbach.
Karten für das Neujahrskonzert am 1. Januar 2020, 11 Uhr, gibt es ab 24,50 Euro an der Theaterkasse Krefeld, telefonisch unter (02151) 805-125 oder online.