Rio Reiser Nostalgisch in linker Utopie von gestern

Die Musikproduktion des Stadttheaters zur Erinnerung an den legendären Sänger Rio Reiser erntet stehenden Applaus.

Rio Reiser: Nostalgisch in linker Utopie von gestern
Foto: Matthias Stutte

Krefeld. Die Musikproduktionen des Schauspiels am Theater Krefeld/Mönchengladbach sind beliebt, da wird auch der neue Streich in diesem Genre keine Ausnahme machen. Standing Ovations und langen Jubel gab es jetzt für die Premiere von Heiner Kondschaks Hommage an eine Ikone der 1970er- und 1980er-Jahre im Krefelder Stadttheater. Und so musste das Ensemble von „Rio Reiser — König von Deutschland“ dann auch noch zwei Zugaben spielen.

Kondschak hat das Stück, das musikalische Biographie und Rockrevue in einem ist, 2004 für das Landestheater Tübingen geschrieben. In Krefeld steht er als Musiker und Schauspieler mit auf der Bühne und hat auch Regie geführt. Seine Arrangements für das gestandene Rocksextett, das live zu hören ist, gehen oft über die konventionellen Songschemata der Originale hinaus. Das ist einerseits wohltuend, andererseits hätte man auf so manches Instrumentalsolo bei dem zweieinhalbstündigen Abend auch verzichten können.

Wer war dieser Rio Reiser (1950-1996), der eigentlich Ralph Möbius hieß und der zunächst mit der Band Ton Steine Scherben den Politrock-Soundtrack zur Aufbruchstimmung der 1970er-Jahre lieferte. „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ und „Keine Macht für Niemand“ hießen Lieder aus der Feder des genialen Songschreibers, der ganz nebenbei auch noch Deutsch als Sprache für Rockmusik hoffähig machte. Reiser war ein politisch denkender und aktiver Mensch, seine Band stand erklärtermaßen nicht auf der Seite des „Systems“. Dafür gingen die Scherben dann aber pleite, weil ihr mangelnder Geschäftssinn nichts als Schulden bescherte.

Als Reiser danach solo Karriere machte und Hits wie „Der König von Deutschland“ und „Junimond“ in den Charts landeten, war er fähig, die Schulden zu bezahlen und musste sich dafür aus der dogmatischen linken Ecke als Verräter beschimpfen lassen. Mit nur 46 Jahren starb der Hochbegabte an den Folgen langjährigen Alkoholmissbrauchs.

Auf die Frage, wer Rio Reiser war, erhält man in Kondschaks Inszenierung seines eigenen Stücks leider nur wenig Antworten. Das liegt an der Stärke des Abends, die auch seine Schwäche ist. Über 20 Nummern aus dem Scherben- und Reisers-Repertoire gibt es zu hören. Das ist schön, aber das sechsköpfige Schauspielensemble erhält in den Zwischenteilen kaum Gelegenheit, Szenen und in ihnen Charaktere zu entwickeln.

Stattdessen überwiegen eindeutig die erzählenden Elemente, und dass Kondschak gut recherchiert hat, ist hierbei keine Frage. Der Rest ist Atmosphäre. Roter Stern und das Anarchie-A an der Wand, Flokati, Sperrmüllmöbel und Bierkästen auf der Bühne (Harald Stieger), bunte Jeanskleidung und Langhaarperücken (Kostüme: Lydia Merkel) schicken einen fast ein wenig zu sehr mit dem Holzhammer zurück in die 1970er-Jahre.

Schauspieler Adrian Linke muss seiner Figur Rio Reiser vor allem als Sänger Kontur verleihen, und das gelingt ihm mit seiner Reibeisenstimme mehr als passabel. Dass er dabei die Magie des rotzigen Charismas Reisers natürlich nicht erreichen kann, ist kein Kritikpunkt. Aus dem restlichen Ensemble kann man keinen hervorheben.

Der Todestag von Rio Reiser jährte sich dieses Jahr zum 20. Mal. Seine Musik aber lebt, das sieht man auch an diesem Abend. Ob aber im Angesicht von Populismus und Rechtsruck, von Flüchtlingskrise und neuen Kriegsgefahren nicht mehr drin gewesen wäre, als die linken Utopien von gestern zwar knallbunt, aber dennoch überwiegend nostalgisch und sehr vereinnahmend zu bebildern, könnte man fragen.