Kunst Sharon Ya‘ari – So romantisch ist Beton

Krefeld · Die Ausstellung des israelischen Fotografen in Haus Esters widmet sich Geschichten und Spuren zwischen Alltag, modernistischer Architektur, Verfall und poetischer Vieldeutigkeit. Für seine Schau hat er sogar eine verwitternde Beton-Plastik aus seiner Heimat nach Krefeld geholt.

Kuratorin Magdalena Holzhey (v.l.), Sharon Ya’ari und Museumsdirektorin Katia Baudin vor dem großen „Bilderbuch“ zur Geschichte des betonernen Platzes in Be’er Scheva, dessen Plastik nun im Garten von Haus Esters steht.

Foto: Andreas Bischof

Rückwärtig des Hauses Esters steht eine sonderbar anmutende Ansammlung von zylindrischen Betonelementen. Größere, kleinere, graue Betonobjekte, die in einer losen rhythmischen Form angeordnet sind. Sie könnten gerne auf einem Plätzchen in einem vormals unter großen utopischen Visionen angelegten Neubauviertel aus den 70er-Jahren irgendwo in Deutschland stehen. Als urbane Plastik. Doch der Zahn der Zeit ist an diesen Objekten nicht spurlos vorbeigegangen – Verwitterung hat eingesetzt, Spuren von Graffiti sind deutlich erkennbar. Bei näherer Betrachtung entdecken wir aber auf einem der Zylinder – auf dessen oberer Fläche – einen mit schwarzer Farbe gezeichneter Davidstern. Und ja, diese urbane Skulptur stammt nicht etwa aus einem niederrheinischen Plattenbau-Viertel, sondern hat eine lange Reise hinter sich. Aus der israelischen Stadt Be’er Scheva, wo es ein graues Plätzchen, was vielleicht gar kein richtiger Platz ist, über lange Jahre schmückte, umgeben von einem Neubaugebiet. Errichtet in den frühen 70er-Jahren von einem unbekannten Architekten. Doch was hat es denn genau mit dieser Objektgruppe auf sich?

Sie ist das außen sichtbare Zeichen der neuen von Magdalena Holzhey kuratierten Ausstellung in Haus Esters. Und spiegelt mit weiteren Exponaten im Innern des Hauses – wovon man direkt auf die Beton-Installation durch die großen Fenster hindurch sehen kann – so etwas wie das Herz dieser Schau wider. Der israelische, in Tel Aviv lebende, Fotograf Sharon Ya’ari hat sich unter dem Titel „The Romantic Trail and the Concrete House“ von der Architektur, der Aura, der Stimmung des von Ludwig Mies van der Rohe errichteten Hauses inspirieren lassen. Dabei ist ein außergewöhnlicher Brückenschlag zwischen Isreal und Krefeld entstanden. Denn die in dem Haus gezeigten Fotografien, die speziell für diese Ausstellung entstanden oder fallweise für diese Ausstellung ausgesucht wurden und noch nicht zuvor gezeigt wurden, stammen aus den fotokünstlerischen Recherchen Ya’aris in seiner Heimat.

Der Titel bezieht sich auf touristische Hinweisschilder

Die Ausstellung, dessen Titel mit touristischen Hinweisschildern im Yarkon Nationalpark spielt, bei dem einerseits auf einen Romantikweg und das erste Stahlbetonhaus der Region aus 1912 verwiesen wird, ist übrigens die erste Einzelausstellung in Deutschland des 1966 geborenen Fotografen. Doch bevor wir uns nun weiteren Exponaten, die eine besondere vielschichtige und gar nicht so konsistente Spurensuche des Künstlers dokumentieren, widmen, sei das Rätsel um diese Beton-Installation noch ein bisschen genauer beleuchtet.

Ya’ari hat mehr als ein Jahrzehnt lang diesen besagten Platz in Be’er Scheva fotografisch beobachtet. Aus unterschiedlichen Perspektiven – sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinne zu verstehen – die Verwandlung dieses Plätzchens und der dreizehn Betonzylinder dokumentiert. Da wurden beispielsweise drei Palmen mitten auf den minimalistischen Platz, der die Formensprache einer „Moderne“ atmet, recht rabiat hingepflanzt. Diese sollten sich im Laufe der Zeit – und Zeit spielt in dieser Ausstellung ohnehin eine zentrale Rolle – verändern. Zunächst stirbt eine Palme, dann die andere. Schließlich sieht man nur noch zwei abgestorbene Palmenreste und eine dritte, die nur noch vor sich hin vegitiert.

Auch der Beton ändert sich, wird besprüht, bekommt Macken, der Platz bleibt Spur einer sich wandelnden Zeit. Neubauten entstehen drumherum – der Platz verwaist. Innen im dritten Raum der Ausstellung liegt eine Art großes Bilderbuch auf einem Tapeziertisch, der diese Verwandlung, diese fotografische Recherche dokumentiert. An der Wand ein fast entsättigtes großes posterhaftes Foto von dem Platz, mit der einen noch gerade eben lebenden Palme und Schutt im Hintergrund. Daneben ganz in schwarzweiß dieses Memento-Mori der zwei Toten und der einen sterbenden Palme. Kurz vor Ausstellungsbeginn kam übrigens die Erlaubnis, die Betonblöcke zu entfernen und sich per Schiffsfracht nach Krefeld transportieren zu lassen. Nun stehen sie da, als Gäste, als sichtbare Anachronismen in der Außenwelt der Innenwelt dieser Ausstellung.

Eine Ausstellung, die sich aber emphatisch mit Utopien, Spuren und Verwandlungen von modernen architektonischen Vorstellungen zu befassen scheint, eigentlich aber den sehr persönlichen Blick des Fotografen auf von ihm entdeckte Besonderheiten in Alltäglichkeiten dokumentiert.

Den Auftakt der Schau dominiert Architekturfotografie

Betritt man die Schau, die noch bis zum 30. August zu sehen ist, so erwarten einen großformatige Fotografien, die gerahmt und ikonenhaft in den großen Raum verteilt sind.

Bestimmend – und wohl thematisch emblematisch – ist eine große Schwarzweißfotografie, die ein Gebäude zeigt, das von der Formensprache her verdächtig an die Häuser Esters und Lange erinnert. Vielleicht eine Art ferne in einem anderen Land befindliche Spiegelung der beiden Häuser? Ein dystopischer Blick in die Zukunft? Das gezeigte Gebäude befindet sich in einem schrecklichen Zustand, Fensterfronten sind zugemauert, die Bausubstanz wirkt abgenutzt. Auf dem Bild ist aber auch ein Spielplatz zu sehen, eine Spur von Kindheit und Lebendigkeit und zwei einsame große Sonnenschirme, die vor dem Haus wie Nachboten einer belebteren lebendigeren Zeit wirken. Nicht umsonst ist diese Fotografie gewählt, um den Auftakt der Schau zu bilden. Der deutschstämmige Architekt Richard Kaufmann entwarf dieses Kulturzentrum in Nahalal nicht nur im gleichen Geiste, wie die Formprinzipien von Mies van der Rohe und Co. Kauffmann adaptierte die moderne Architektursprache der 1920er-Jahre für die Notwendigkeiten des entstehenden Staates Isreal, prägte die Architektur dort. Aber just ist dieses Kulturzentrum in dem ältesten israelischen Moschaw (eine genossenschaftlich organisierte ländliche Siedlung) zur gleichen Zeit entstanden wie die Häuser Lange und Esters. Erbaut zwischen 1928 und 1930.

Doch die ästhetischen Spurensuchen Ya’aris sind nicht immer so offensichtlich und plakativ. Er findet formale wie hermeneutische Besonderheiten in so mancher Situation, die er dann fotografisch einfängt. Und die Art dessen, wie er fotografiert wird – so betont er – auch zum Teil der Reflexion. Sind es Schnappschüsse oder geplante Kompositionen, sind es etwa Vergrößerungen von fotografischen Fundstücken, wie etwa ein Porträt, das durch einen Belichtungsfehler zu einem Rätsel wird. Einige Fotos zeigen scheinbar alltägliche Situationen in Hinterhöfen. Doch durch kleine Besonderheiten, wie etwa ein Baum, der die Fassade eines modernistischen und doch recht farblosen Baus abkratzt, erlangen sie für ihn als Suchenden Bedeutung. Da sind Betonblöcke – andere als die zuvor erwähnten – die zufällig herumliegen und doch wirken wie eine avantgardistische Plastik oder der Eingang eines Bunkers, der durch geschickte Perspektive den Anschein einer brutalistischen Spielweise hat.

Aber auch das Spiel mit multiplen Bedeutungen scheint dem Israeli zu liegen. So wird Streetfotografie über am Boden laufende Vögel vielleicht zu einer Meditation über den Verlust von natürlicher Freiheit. Ein Schneehaufen, der aus einem Gebirge heran gekarrt wird, um Kinder das Erlebnis des Schnees zu geben, mutet wie Landschaftsfotografie an. Aber auch hier ist wieder die Zeit – alles wird Schmelzen, doch Ya’ari kann durch das Ablichten diesen Prozess zumindest virtuell aufhalten. Ohnehin scheint ein nostalgischer, sentimentaler Zug im Schaffen des Künstlers zu liegen.

Ya’ari, der an der Bezalel Academy for Art and Design in Jerusalem lehrt und 2018 mit dem israelischen Emet Prize of Arts ausgezeichnet wurde, widmet sich aber in seinen Fotografien aber nicht nur Orten und zufälligen, in ihnen etwas verloren auffindbaren Menschen. Der Mensch rückt beispielsweise in seinem letzten Raum der Ausstellung ganz in den Fokus. Andeutungen, die Geschichten erzählen mögen, machen den Betrachter neugierig. Beispielsweise zwei Mädchen vor eine Hafenkulisse, was fast Anklänge einer pathetischen Hermeneutik amerikanischer Fotokunst hat oder zwei unscharfe Körper auf einem Bett liegend – das wiederum erinnert an westdeutsche Ästhetiken der 90er-Jahre. Im Kontext dieser Schau wirken diese Exponate fast ein wenig wie Fremdkörper.

Die Ausstellung birgt kleine und große Geheimnisse in sich

Doch ging es wohl Ya’ari auch um das Knüpfen von losen Assoziationsketten, die sich auf diese und jene Weise auch mit der Örtlichkeit, mit den Räumen an sich in Dialog setzen. Dies gelingt indes nicht immer, erzeugen die unterschiedlichen Rhythmen der Hängung und der Motive auch allerdings ein harmonisches Fluidum. So findet sich eine emphatische Entsprechung zu dem Titel „The Romantic Trail and the Concrete House“ – das Romantische und die eigentliche – konkrete und zeitgleich in Beton gegossene – Dimension von Orten, die ihre Geschichte durch genaues Betrachten vielleicht dem Betrachter offenlegen. Die Ausstellung ist auch voller kleiner oder auch großer Geheimnisse, die zum neugierigen Erkunden auch von israelischen Realitäten einladen.

Auch deshalb ist es gut, dass die Kunstvermittlung des Hauses ein umfangreiches Begleitprogramm plant. Schon am Donnerstag, 12. März, gibt es eine spezielle Führung für Lehrer, um auf die Angebote einzustimmen und mögliche pädagogische Zugänge aufzuzeigen. Geplant ist auch ein interkulturelles Fotoprojekt mit der Abteilung Integration und der NS-Dokumentationsstelle der Stadt, um nur einige Schlaglichter zu nennen.

Parallel zu dieser Ausstellung findet in Haus Lange eine Schau mit dem Titel „Das Gedächtnis der Bilder“ statt, die auch am Sonntag, 8. März, um 11.30 Uhr eröffnet wird. Diese präsentiert ausgewählte Exponate aus der Sammlung der Kunstmuseen Krefeld, die sich um künstlerische Auseinandersetzungen mit historischen Themen dreht und beachtliche Sammlungsstücke in ein neues Licht stellt. Über diese Ausstellung werden wir noch gesondert berichten.

Alle weiteren Informationen zu der von der Kunststiftung NRW geförderten Ausstellung und dem Begleitprogramm in Haus Esters (Wilhelmshofallee 91–97) finden sich online.